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National Report Germany

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Zehn Jahre Dublin Feiern kein Grund zum
Zur Umsetzung der Dublin-II-Verordnung in Deutschland

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Abkürzungen
AsylVfG
AsylZBV
AufenthG
BAMF
BMI
BPol
B-UMF
BVerfG
EGMR
EMRK
EuGH
FamFG
D-II-VO
D-II-DVO

GG
GRCh
LG
MS
NGO
OVG
UMF
VG
VGH

Asylverfahrensgesetz
Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung
Aufenthaltsgesetz
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Bundesministerium des Inneren
Bundespolizei
Bundesfachverband Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Bundesverfassungsgericht
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Europäische Menschenrechtskonvention
Europäischer Gerichtshof
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Dublin-II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar
2003)
Dublin-II-Durchführungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr.
343/2003)
Grundgesetz
Grundrechtecharta der Europäischen Union
Landgericht
Mitgliedsstaat (hier: der die D-II-VO anwendet, d.h. alle 27 EU-Staaten sowie die
Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island)
Nichtregierungsorganisation
Oberverwaltungsgericht (auch VGH=Verwaltungsgerichtshof) unbegleitete(r) minderjährige(r) Flüchtling(e)
Verwaltungsgericht
Verwaltungsgerichtshof (auch OVG=Oberverwaltungsgericht)

Danksagung
Wir danken den vielen Flüchtlingen, die ihre Erfahrungen mit der Dublin-II-Verordnung mit uns geteilt haben, sowie den Kolleginnen und Kollegen, die uns bei der Arbeit an diesem Bericht unterstützt haben: Thomas Berthold, Silke Born-Gotta, Klaudia Dolk, Peter Fahlbusch, Janina Gieseking, Judith
Gleitze, Stephan Hocks, Henrike Janetzek, Stephen Marquardt, Dirk Morlok, Karl Kopp, Marei Pelzer,
Uta Rieger, Uli Sextro, Klaus Walliczek und ganz besonders Rebecca Zippelt.
Frankfurt am Main, im Dezember 2012
Dominik Bender und Maria Bethke, für den Hessischen Flüchtlingsrat.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern
„National Report“ zur Umsetzung der
Dublin-II-Verordnung in Deutschland

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Inhalt
1. Einführung...................................................................................................................................6
1.1. Das Dublin-System auf europäischer Ebene .........................................................................6
1.2. Übersicht über die Dublin-II-Verordnung in Deutschland ....................................................7
2. Rechtliche Rahmenbedingungen und Ablauf der Verfahren ....................................................8
2.1. Rechtliche Rahmenbedingungen ..........................................................................................8
2.2. Ablauf der Dublinverfahren ..............................................................................................

9

2.2.1. Zuständige Behörden ...........................................................................................

9

2.2.2. Einleitung der Verfahren mit und ohne Asylantragstellung in Deutschland ..... 10
2.2.3. Ablauf der Verfahren ......................................................................................... 10
2.2.4. Klageverfahren................................................................................................... 11
2.2.5. Petitionsverfahren ............................................................................................. 12
3. Umsetzung der Dublin-II-Verordnung in Deutschland ........................................................... 13
3.1. Information der Betroffenen und Anwendung der Kriterien durch die Behörden .......... 13
3.1.1. Das Recht auf Information ................................................................................. 13
3.1.2. Probleme bei der korrekten Anwendung der Kriterien .................................... 16
3.1.3. Der Familienbegriff und das Kriterium der Familieneinheit ............................. 20
3.1.4. Regionale Unterschiede bei der Umsetzung der Dublin-II-VO ......................... 22
3.2. Die Anwendung der Ermessensklauseln ........................................................................ 23
3.2.1. Selbsteintrittsrecht und Humanitäre Klausel .................................................... 23
3.2.2. Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat ................................... 24
3.3. Fristen und Wiedereinreisesperren ............................................................................... 28
3.3.1. Fristen ................................................................................................................ 28
3.3.2. Keine „freiwillige Ausreise“ gem. D-II-DVO, Wiedereinreisesperre ................. 30
3.4. Besonders schutzbedürftige Personen im Dublinverfahren .......................................... 31
3.4.1. Besonders Schutzbedürftige / Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse .... 31
3.4.2. Unbegleitete Minderjährige ............................................................................. 34
3.5. Effektiver Rechtsschutz und Rechtsberatung ................................................................ 37
3.5.1. Effektiver Rechtsschutz ..................................................................................... 37
3.5.2. Zugang zu Rechtsberatung für Asylsuchende in Deutschland .......................... 38
3.6. Haft im Dublinverfahren ................................................................................................ 41
3.7. Personen, die in einem anderen Dublinstaat den Flüchtlingsstatus oder subsidiären
Schutz erhalten haben ................................................................................................... 43
3.8. Die Situation der nach Deutschland abgeschobenen Personen .................................... 46
3.9. Beispiele für „Good Practice“ ........................................................................................ 47
4. Empfehlungen ...................................................................................................................... 48

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Anhang
A. Literaturverzeichnis ...................................................................................................................... 51
B. Statistische Daten ......................................................................................................................... 52
Abbildung 1: Dublin-Abschiebungen aus Deutschland / nach Deutschland 2003-2011
Tabelle 1: Überprüfung der Zuständigkeit eines anderen MS - Jahr 2011
Tabelle 2: Übernahmeersuchen und Abschiebungen von Deutschland an andere MS
1. Halbjahr 2012
Tabelle 3: Übernahmeersuchen, Zustimmungen, Abschiebungen von Deutschland an andere MS – Jahr 2011
Tabelle 4: Übernahmeersuchen, Zustimmungen, Abschiebungen von anderen MS an
Deutschland – Jahr 2011
Tabelle 5: Übernahmeersuchen Deutschlands an andere MS mit Aufschlüsselung der
EURODAC-Treffer – Jahr 2011
Tabelle 6: Abschiebungen von Deutschland an andere MS – Staatsangehörigkeit der
Asylsuchenden – Jahr 2011 und 1. Halbjahr 2012
Tabelle 7: Abschiebungen an Deutschland aus anderen MS – Staatsangehörigkeit der
Asylsuchenden – Jahr 2011
Tabelle 8a: Anzahl der Zustimmungen Deutschlands zu Übernahmeersuchen anderer
MS auf der Basis von Art. 15 – 2009-2012
Tabelle 8b: Anzahl der Zustimmungen anderer MS zu Übernahmeersuchen Deutschlands auf der Basis von Art. 15 – 2009-2012
Tabelle 9: Abschiebungen von minderjährigen Personen - Jahr 2011 und 1. Halbjahr 2012
Tabelle 10: Abschiebungen von minderjährigen Personen nach den wichtigsten
Herkunftsländern – Jahr 2011 und 1. Halbjahr 2012
C. Zitierte Rechtsprechung zur Dublin-II-Verordnung in Deutschland............................................. 61

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

1. Einführung
1.1. Das Dublin-System auf europäischer Ebene
Die Dublin-II-Verordnung1 (D-II-VO) aus dem
Jahr 2003 verfolgt, wie schon das Dubliner
Übereinkommen von 1997, folgendes Ziel: Jeder
Asylantrag eines Schutzsuchenden in Europa muss geprüft werden, aber nur von einem (einzigen) Staat, so dass sekundäre Wanderungsbewegungen und die Stellung mehrerer Asylanträge in Folge verhindert werden. Welcher Staat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, soll durch einheitliche Kriterien festgelegt werden, die in allen EU-Staaten sowie Island, Norwegen, der Schweiz und Liechtenstein gelten.
Zehn Jahre nach der Verabschiedung der Dublin-II-Verordnung haben NGOs in elf europäischen Ländern im Rahmen eines transnationalen Projektes sowohl nationale Berichte zur
Umsetzung der Dublin-II-Verordnung veröffentlicht als auch eine vergleichende Studie. Der vorliegende Bericht wurde vom Hessischen
Flüchtlingsrat erstellt, die weiteren Berichte und die vergleichende Studie sind im Internet unter www.dublin-project.eu abrufbar.
Die Untersuchungen zeigen, dass sich die Umsetzung der D-II-VO zum Nachteil der Flüchtlinge auswirkt; Familien werden auseinander gerissen und Asylsuchende werden immer häufiger inhaftiert. Die D-II-VO verzögert die Bearbeitung der Asylanträge erheblich und zwingt so die Betroffenen zu einem „Leben in der Warteschleife“.
Die Rangfolge der Kriterien, nach der der zuständige Mitgliedsstaat bestimmt wird, wird nicht immer eingehalten. Zu oft wird fälschlicherweise Art. 10 D-II-VO angewandt und der
Betroffene in den Einreisestaat abgeschoben, wo ihm zum ersten Mal in Europa Fingerabdrücke abgenommen und diese in das EurodacSystem eingespeist wurden, obwohl auf ihn ein vorrangiges Kriterium, etwa der Einheit der Familie, anzuwenden gewesen wäre. Die prakti1

Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar
2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= CELEX:32003R0343:DE:HTML.

sche Umsetzung der Verordnung verletzt die
Grundrechte von Asylsuchenden, etwa ihr
Recht, angehört zu werden, das Recht auf effektiven Rechtsschutz und das Grundrecht auf Asyl selbst, da der Zugang zum Asylverfahren nicht immer garantiert ist. In einer Reihe von Mitgliedsstaaten sind die Aufnahmebedingungen für „Dubliner“ deutlich schlechter als für andere
Asylsuchende. Bilaterale Vereinbarungen gem.
Art. 23 D-II-VO werden verstärkt angewandt und Streitigkeiten über die Zuständigkeit für
Asylverfahren werden zunehmend auf informellem Wege gelöst. Einige Mitgliedsstaaten bürden den Asylsuchenden die Beweislast in unverhältnismäßiger Weise auf, wenn diese einen anderen als den von den Behörden für zuständig erklärten Staat für ihr Asylverfahren verantwortlich halten, etwa weil sie dort Verwandte haben oder weil früher bestehende Zuständigkeiten durch eine Ausreise aus dem Dublingebiet erloschen sind. Eine Reihe von Mitgliedsstaaten erklärt Asylsuchende vorschnell und ungerechtfertigt für „untergetaucht“, was zu einer Verlängerung der Überstellungsfristen und
Verzögerungen bei der Bearbeitung der Asylanträge führt.
Die Probleme innerhalb des Dublinsystems werden verschärft durch die unterschiedliche Praxis der Staaten bei der Gewährung von Schutz, der
Wahrung der Rechte der Flüchtlinge, den Aufnahmebedingungen und den Asylverfahren.
Schutzsuchende sehen sich also nicht etwa einem einheitlichen System, sondern vielmehr einer „Asyl-Lotterie“ gegenüber.
Die Länderberichte wie der hier vorliegende bieten einen Einblick in die praktische Umsetzung der D-II-VO in den einzelnen Staaten, während die vergleichende Studie die Entwicklungen auf europäischer Ebene analysiert. Die Untersuchungen wurden durchgeführt, nachdem sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg als auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Vereinbarkeit des Dublinsystems mit den Grundrechten der Asylsuchenden in Frage gestellt haben.
Kürzlich haben sich die Gremien der EU auf eine
Neufassung der D-II-VO geeinigt. Die sogenann-

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

te Dublin-III-Verordnung führt bedeutende
Neuerungen ein wie etwa das Recht auf eine persönliche Anhörung und einen Frühwarnmechanismus bei Überlastung eines Mitgliedsstaates oder Mängeln im Asylsystem.
Aber das grundlegende Prinzip des Dublinsystems bleibt unangetastet und dessen Mängel werden nicht behoben. Die Europäische Kommission sollte die Umsetzung der Verordnung genau kontrollieren, um sicher zu stellen, dass

sie in allen Mitgliedsstaaten korrekt angewendet wird.
Letzten Endes muss aber das grundlegende
Prinzip der Dublin-II-Verordnung revidiert werden, um ein humaneres und gerechteres System zu schaffen, das die persönliche Situation der
Asylsuchenden und ihre Anknüpfungspunkte an bestimmte Mitgliedsstaaten berücksichtigt und ihre Chancen verbessert, sich in Europa zu integrieren.

1.2. Übersicht über die Dublin-II-Verordnung in Deutschland
Im Jahr 2003, als die Dublin-II-Verordnung in
Kraft trat, wurden 1562 Asylsuchende von
Deutschland in andere Dublin-Mitgliedsstaaten abgeschoben.2 Im gleichen Zeitraum musste
Deutschland fast doppelt so viele Personen aus anderen Mitgliedsstaaten aufnehmen. Dieses
Verhältnis kehrte sich im Jahr 2008 um, seitdem finden deutlich mehr Dublin-Abschiebungen aus
Deutschland als nach Deutschland statt. Im Jahr
2011 standen 2902 Abschiebungen aus
Deutschland nur 1303 Abschiebungen nach
Deutschland gegenüber.
Die deutschen Behörden haben großes Interesse am Funktionieren des Dublin-Systems. Das schließt ein, dass Abschiebungen möglichst
„reibungslos“ vonstattengehen sollen. Deshalb wurden die Regelungen, die im Jahr 1993 im
Rahmen des sog. Asylkompromisses für Abschiebungen auf der Basis der sog. Drittstaatenregelung geschaffen wurden, auch auf solche im
Rahmen der Dublin-II-Verordnung übertragen.
Für die Betroffenen bedeutet das, dass Eilrechtsschutz gegen eine solche Abschiebung gesetzlich und faktisch ausgeschlossen ist: Das
Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) sieht vor, dass der Dublinbescheid, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in einen anderen europäischen Staat angeordnet wird, dem Betroffenen erst unmittelbar vor der
Abschiebung durch die Polizei übergeben wird.
Da dies meist frühmorgens stattfindet, oft erst
2

Der gelegentlich in verharmlosender Weise verwendete
Ausdruck „Überstellung“ für den Vorgang einer – ausländerrechtlich in aller Regel als Abschiebung durchgeführten
– Verbringung einer Person in einen anderen Dublinstaat wird in diesem Bericht bewusst vermieden und stattdessen der Begriff „Abschiebung“ gebraucht.

auf dem Weg zum Flughafen oder gar erst dort, ist es den Betroffenen nicht möglich, noch einen
Rechtsanwalt zu kontaktieren. Doch selbst wenn dies einem Betroffenen gelingt, schließt
§ 34a Abs. 2 AsylVfG aus, dass ein Verwaltungsgericht die Abschiebung im Eilverfahren untersagt.
Seit 2008 gewährt zwar eine wachsende Zahl von Verwaltungsgerichten dennoch Eilrechtsschutz, dennoch scheitern noch immer Asylsuchende vor Gericht an der strikten Regelung des
§ 34a Abs. 2 AsylVfG. Auch haben zwar bislang vier Landesregierungen aus der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR zu Dublin den (richtigen) Schluss gezogen, dass die Praxis, die Dublinbescheide erst von der Polizei übergeben zu lassen, rechtswidrig ist und weisen seit diesem
Jahr ihre Ausländerbehörden an, die Betroffenen vorab zu informieren. Doch in den übrigen
Bundesländern kommt es noch täglich zu unangekündigten Abschiebungen.
In diesem Bericht werden die rechtlichen
Grundlagen, der Ablauf der Dublinverfahren und die zentralen Probleme bei der Umsetzung der Dublin-II-Verordnung in Deutschland beschrieben. Die Schwierigkeiten, die sich für eine korrekte Anwendung der Verordnung ergeben, wenn die Betroffenen nur unzureichend oder gar nicht über das Verfahren informiert werden, die Berücksichtigung familiärer Bindung, die
Selbsteintrittspraxis des Bundesamtes, insbesondere im Hinblick auf besonders schutzbedürftige Asylsuchende und unbegleitete Minderjährige, der Zugang zu effektivem Rechtsschutz sowie der Umgang mit Fristen und

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Fragen der Inhaftierung im Dublinverfahren werden ausführlich behandelt.
Der Bericht schließt mit Empfehlungen an den
Gesetzgeber und Behörden, um die Rechte der von Dublinverfahren betroffenen Asylsuchenden besser zu wahren. Im Anhang werden die verwendete Literatur, statistische Daten sowie sämtliche im Bericht zitierten Gerichtsentscheidungen aufgeführt.
Die Position des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) sowie der Bundesregierung wurde sowohl öffentlich zugänglichen Publikationen (siehe Literaturliste im Anhang) als auch
Äußerungen von Vertretern des Bundesamtes auf öffentlichen Veranstaltungen entnommen.
Die dargestellten Einzelfälle stammen überwiegend aus der Praxis der Autoren, einige wurden

ihnen von Rechtsanwälten sowie der NGO Pro
Asyl zur Verfügung gestellt. Die Fälle werden anonymisiert wiedergegeben, die Namen und die jeweiligen Aktenzeichen beim BAMF sind den Autoren bekannt.
Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der
Verwaltungspraxis. Auf der Internetseite des transnationalen Dublinprojektes (www.dublinproject.eu) sind neben Gerichtsentscheidungen aus den europäischen Partnerländern mittlerweile über 50 Entscheidungen deutscher Gerichte zur Dublin-II-Verordnung abrufbar. Sie sind in englischer Sprache zusammengefasst, aber jeweils versehen mit einem Verweis auf die deutsche Fassung in der Datenbank des Informationsverbundes Asyl und Migration
(www.asyl.net).

2. Rechtliche Rahmenbedingungen und Ablauf der Verfahren
2.1. Rechtliche Rahmenbedingungen
Die D-II-VO wurde nicht in das nationale Recht übernommen, es wurde lediglich mit § 27a
AsylVfG die Möglichkeit geschaffen, einen Asylantrag als “unzulässig” abzulehnen, “wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist“. Im AsylVfG finden sich Regelungen zur Bescheidzustellung und zum Rechtsschutz. Es sind die gleichen, die seit 1993 für Asylantragsteller gelten, die aus
“sicheren Drittstaaten” nach Deutschland kommen. Sie wurden lediglich so ergänzt, dass sie auch für nach der D-II-VO abgelehnte Asylsuchende gelten. Die Ausgestaltung des Dublinverfahrens ist durch verwaltungsinterne Dienstanweisungen geregelt.3
Bezüglich der Informationspflichten der Behörden gegenüber den Asylsuchenden fällt Folgendes auf: Art. 3 Abs. 4 D-II-VO4 wird seitens des
3

Diese Dienstanweisungen werden üblicherweise nicht veröffentlicht. Die NGO Pro Asyl hat 2008 die Herausgabe eines Teils der damals aktuellen Dienstanweisungen gerichtlich erstritten, eine Version aus dem Jahr 2010 ist abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fmdam/i_Asylrecht/Dienstanweisungen-Asyl_BAMF2010.pdf.
4
Er lautet: „Der Asylbewerber wird schriftlich und in einer ihm hinreichend bekannten Sprache über die Anwendung

BAMF so ausgelegt, dass der Asylsuchende nur über die Existenz und die wichtigsten Prinzipien der D-II-VO aufgeklärt werden muss, nicht aber über die Einleitung und das Ergebnis des Verfahrens, das ihn persönlich betrifft.
Die Entscheidung, dass sein Asylantrag unzulässig ist bzw. dass die Abschiebung in den zuständigen MS angeordnet wird, erhält er zwar in der
Regel schriftlich, allerdings nicht so rechtzeitig, dass er noch ein effektives Rechtsmittel einlegen kann.5
Die Paragraphen 31 Abs. 1 S. 4-6 und 34a
AsylVfG regeln, dass die Entscheidung, dass ein
Asylantrag unzulässig ist, dem Asylsuchenden selbst zuzustellen ist. Eine Frist zur freiwilligen
Ausreise muss ihm nicht gesetzt werden.6 dieser Verordnung, ihre Fristen und ihre Wirkung unterrichtet.“
5
Hat der Betroffene einen Asylantrag in Deutschland gestellt, erhält er einen Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit folgendem Tenor: „1. Der Asylantrag ist unzulässig. 2. Die Abschiebung nach … wird angeordnet.“ Hat er keinen Asylantrag in Deutschland gestellt, erhält er nur eine Mitteilung, dass er auf der Basis der
Dublin-II-VO in den zuständigen Staat abgeschoben wird.
6
§ 31 Abs. 1 S. 4-6 lauten: „Wird der Asylantrag nur nach §
26a oder § 27a abgelehnt, ist die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34a dem Auslän-

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

In der Praxis sieht dies in aller Regel so aus, dass der Bescheid erst am Morgen der unangekünder selbst zuzustellen. Sie kann ihm auch von der für die
Abschiebung oder für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde zugestellt werden. Wird der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten oder hat er einen Empfangsberechtigten benannt, soll diesem ein
Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden.“ § 34a Abs. 1
AsylVfG lautet: „Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. (…)
Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.“ digten Abschiebung von der Polizei übergeben wird und der Rechtsanwalt – falls vorhanden – erst am nächsten Tag eine Kopie des Bescheides per Post erhält, also wenn sein Mandant bereits abgeschoben ist.
Schafft es der Betroffene dennoch, in den wenigen Stunden bis zu seiner Abschiebung Klage zu erheben, hat diese keine aufschiebende Wirkung. § 34a Abs. 2 AsylVfG regelt, dass eine
Abschiebung gem. der D-II-VO nicht im Wege des Eilrechtsschutzes ausgesetzt werden darf.

2.2. Ablauf der Dublinverfahren
2.2.1. Zuständige Behörden
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) ist eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. Es ist sowohl für die Durchführung der Asylverfahren als auch der Dublinverfahren zuständig.
Die Zentrale des Bundesamtes befindet sich in
Nürnberg, darüber hinaus gibt es 22 Außenstellen, mindestens eine in jedem der 16 Bundesländer.7 In den Außenstellen werden die Asylverfahren durchgeführt, also die Antragsteller zu ihren Asylgründen befragt und die materiellen Entscheidungen über die Asylanträge getroffen. Die Dublinverfahren werden dagegen zentral in zwei gesonderten Referaten durchgeführt, eines befindet sich in Nürnberg in der Zentrale, das andere in Dortmund.
Das größere der beiden, das Referat 431 in
Dortmund, ist für Dublinverfahren der Asylsuchenden zuständig, die in Deutschland bereits einen Asylantrag gestellt haben. Das Referat
430 in Nürnberg ist für sog. Aufgriffsfälle zuständig, d.h. für Personen, die in Deutschland
(noch) keinen Asylantrag gestellt haben. Weiterhin werden Dublinverfahren von „besonderer
Bedeutung“ im Referat 430 durchgeführt.

Auch die Bundespolizei, die im „grenznahen
Bereich“ und an Flughäfen, Bahnhöfen und in
Zügen Personenkontrollen durchführt, kann
Dublinverfahren durchführen. Voraussetzung ist gem. § 3 der deutschen Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung (AsylZBV), dass die betroffene Person im grenznahen Bereich aufgegriffen wurde und ein an Deutschland angrenzender MS für zuständig gehalten wird.
Das Bundesamt setzt z.Zt. auch eigene Mitarbeiter - sog. Liaisonbeamte - in den Niederlanden,
Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Polen und Ungarn ein. In der Zentrale des
Bundesamtes arbeitet zur Zeit Liaisonpersonal aus den Niederlanden, Belgien und Großbritannien. Das Liaisonpersonal des Bundesamtes in anderen MS hat die Aufgabe, in Dublinverfahren beratend und vermittelnd tätig zu sein, über wichtige Entwicklungen bzgl. Asyl, Migration und Integration zu informieren sowie Herkunftsländerinformationen und Rechtsprechung auszutauschen.8
Die deutschen Dublinreferate sind personell gut ausgestattet, es sind etwa 40 Personen dort beschäftigt. Angaben über Personal- und sonstige Kosten teilte die Bundesregierung auch auf
Anfrage nicht mit.9
8

7

Das Organigramm des BAMF ist abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads /Infothek/Sonstige/organigramm.pdf?__blob=publicationF ile. Siehe www.bamf.de/DE/DasBAMF/Aufgaben/Europa
Zusammenarbeit/Liasonpersonal/liasonpersonalnode.html.
9
Die Kosten des Dublin-Systems würden nicht analysiert, hieß es in der Mitteilung der Bundesregierung. Bundestags-Drucksache 17/2655 vom 26. 07.2010, dort S. 6,

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

2.2.2. Einleitung der Verfahren mit und ohne
Asylantragstellung in Deutschland
Wird eine Person, die kein Asylersuchen äußert, an einer deutschen Grenze oder im Bundesgebiet von der Polizei aufgegriffenen oder meldet sie sich bei der Polizei bzw. Ausländerbehörde und verfügt nicht über den erforderlichen Aufenthaltstitel, wird sie erkennungsdienstlich behandelt. Es wird sofort ein Eurodac-Abgleich vorgenommen, und in der Regel wird die Person auch zu ihrem Reiseweg befragt.
Wenn die Person von der Bundespolizei im
“grenznahen Raum” aufgegriffen wurde, also gerade eine europäische Binnengrenze überschritten hat, versucht die Bundespolizei, sie direkt in den europäischen Staat, aus dem sie eingereist ist, zurückzuschieben.10 Ist dies nicht möglich, wird bei einem Eurodac-Treffer der
Kategorie 1, also wenn in einem anderen MS bereits ein Asylantrag gestellt wurde, ein Dublinverfahren begonnen. Die betroffene Person wird darüber in der Regel nicht informiert, siehe
Abschnitt 3.1.1.
Auch bei einer Asylantragstellung in Deutschland werden die Fingerabdruck-Daten sofort an
Eurodac weitergeleitet. Ergeben sich aus diesem
Treffer – gleich welcher Kategorie – oder aus anderen Umständen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen MS, wird ebenfalls ein
Dublinverfahren eingeleitet.
Das Dublinverfahren ist für den Betroffenen zeitlich nicht klar vom Asylverfahren getrennt.
Die meisten Asylsuchenden werden nicht darüber informiert, dass die Zuständigkeit Deutschlands für ihren Asylantrag geprüft wird. Ergibt sich eine Zuständigkeit eines anderen MS, werden sie auch darüber nicht informiert, sondern in aller Regel unangekündigt abgeschoben.
In einigen Außenstellen des Bundesamtes wird die Anhörung zur Person, dem Fluchtweg und den Fluchtgründen vor oder während eines
Dublinverfahrens durchgeführt, in anderen Außenstellen findet sie erst statt, wenn die Zuständigkeit Deutschlands geklärt ist, und es findet zuvor allenfalls eine Anhörung zur Person abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/
026/ 1702655.pdf.
10
Zu den Schwierigkeiten, in dieser Situation Asyl zu beantragen, siehe Abschnitt 3.6.

und zum Fluchtweg statt. Einige Asylsuchende werden bis zu ihrer Dublinabschiebung kein einziges Mal vom Bundesamt angehört – Personen, die keinen Asylantrag stellen und dennoch im Dublinverfahren sind, werden ohnehin allenfalls von der Polizei zu ihrem Fluchtweg befragt.
Dublinverfahren werden sehr häufig allein aufgrund von Eurodac-Treffern oder Erkenntnissen zum Reiseweg eingeleitet. Informationen, die für die Prüfung der vorrangig anzuwendenden
Kriterien relevant sind, liegen den Sachbearbeitern im Dublinreferat häufig (noch) nicht vor, wenn sie das Verfahren einleiten, siehe dazu
Abschnitt 3.1.2.
2.2.3. Ablauf der Verfahren
Fall 1 – Dublinverfahren nach Asylantragstellung in Deutschland
Hat eine Person einen Asylantrag gestellt und den Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland beantragt, prüft der zuständige Sachbearbeiter im Dublinreferat den Fall und fertigt ein
Votum für oder gegen den Selbsteintritt. Dieses
Votum muss der Referatsleitung vorgelegt werden. Nur wenn die Leitung zustimmt, wird der
Selbsteintritt ausgeübt. Wird kein Selbsteintritt ausgeübt, fordert der Sachbearbeiter die örtlich zuständige Ausländerbehörde auf, die Abschiebung vorzubereiten und zu vollziehen. Die Ausländerbehörde bucht also den Flug, lässt den
Betroffenen festnehmen und sorgt für den
Transport zum Flughafen. Sie zieht dafür wiederum Bundes- oder Landespolizei hinzu.
Ausländerbehörden unterstehen den Innenministerien der Bundesländer, sie sind bei den
Stadt-, Landkreis- oder Bezirksverwaltungen angesiedelt. An Dublinabschiebungen sind also eine Bundesbehörde und zwei Landesbehörden beteiligt. Da die Landesregierungen ihren Ausländerbehörden auch zum Vorgehen bei Dublinabschiebungen Vorschriften machen können –
z.B. dass diese im Voraus angekündigt werden müssen oder dass inlandsbezogene Abschiebungsverbote auch von der Ausländerbehörde geprüft werden müssen -, kann es zu Abweichungen im Verfahrensablauf je nach Bundesland kommen, vgl. dazu Abschnitt 3.1.4.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Fall 2 – Dublinverfahren ohne Asylantragstellung in Deutschland
Für den Fall, dass eine Person vor ihrer Abschiebung noch keinen Asylantrag in Deutschland gestellt hat, ist die Behördenzuständigkeit anders geregelt. Auch dann wird nach der Meldung eines Eurodac-Treffers ein Dublinverfahren durch das Bundesamt durchgeführt. Aber in diesen Fällen trifft nicht das Bundesamt, sondern die örtlich zuständige Ausländerbehörde die Entscheidung über die Ab- bzw. Zurückschiebung und vollstreckt sie auch. Das Bundesamt ist in diesem Fällen also nur logistisch unterstützend tätig. Bei Personen, die in der Nähe
– d.h. maximal 30 km entfernt – von der deutschen Grenze oder an einem Flughafen angetroffen werden und die keinen Asylantrag stellen, kann die Bundespolizei (früher: Bundesgrenzschutz) die Aufgaben der Ausländerbehörde wahrnehmen.
2.2.4. Klageverfahren
Gegen einen Dublinbescheid kann – wie gegen jeden anderen negativen Bescheid im Asylverfahren - Klage beim lokalen Verwaltungsgericht erhoben werden. Die Klage hat allerdings keine aufschiebende Wirkung und Eilanträge auf aufschiebende Wirkung werden vom Gesetz gem. §
34a Abs. 2 AsylVfG für unzulässig erklärt. In der
Praxis gewähren viele Verwaltungsgerichte inzwischen allerdings wegen verfassungs- und europarechtlicher Bedenken auch in Dublinverfahren Eilrechtsschutz, vgl. Abschnitt 3.5.1.
Da Dublinbescheide in aller Regel erst am Tag der Abschiebung zugestellt werden, müssen
Rechtsanwälte häufig - trotz des gesetzlichen
Eilrechtsschutzausschlusses in § 34a Abs. 2
AsylVfG - entweder bereits vor der Bescheidbekanntgabe einstweiligen Rechtsschutz beantragen oder aber sofort nach dessen Bekanntgabe gegen den Bescheid Klage erheben und gleichzeitig die aufschiebende Wirkung der Klage beantragen. Erfährt ein Betroffener oder Rechtsanwalt bereits vor dem Tag der Abschiebung von den Abschiebeplanungen und will er nicht nur einen Eilantrag stellen, sondern auch schon eine Klage erheben, steht er vor dem Problem, dass es noch gar keine Behördenentscheidung gibt, die bekanntgegeben wäre und gegen die man klagen könnte. Oftmals erheben Anwälte daher sogenannte Unterlassungsklagen, die -

wenn es im späteren Verfahrensverlauf zur Bescheidbekanntgabe kommt - in eine Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage umgestellt werden. Einige Gerichte halten die Zustellung der Abschiebungsanordnung erst am Morgen der Abschiebung auch für rechtswidrig und verpflichten das Bundesamt auf Antrag im Eilverfahren dazu, den Dublinbescheid dem Betroffenen einige Tage oder ein bis zwei Wochen vor der geplanten Abschiebung zuzustellen.
Nach der Ablehnung eines Eilantrages durch das
Verwaltungsgericht kann eine Beschwerde beim
Bundesverfassungsgericht erhoben werden.11
Auch das Bundesverfassungsgericht kann eine
Abschiebung im Eilverfahren durch eine einstweilige Anordnung stoppen. Bisher ist dies nur in Verfahren bzgl. Griechenlands geschehen,
Verfassungsbeschwerden und Anträge auf eine einstweilige Anordnung wurden bzgl. Abschiebungen in andere Dublinstaaten bislang abgelehnt.
Auch in der Hauptsache treffen die Gerichte sehr unterschiedliche Entscheidungen. In einigen Fällen wird lediglich der Dublinbescheid aufgehoben und das Bundesamt verpflichtet, die Zuständigkeit erneut zu prüfen. In anderen
Fällen wird das Bundesamt vom Gericht verpflichtet, den Selbsteintritt vorzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen.12
Einige Gerichte entscheiden auch gleich über den Asylantrag des Klägers.
11

Das BVerfG hat diese Kompetenz, weil es „Hüter der deutschen Verfassung“ und damit der Grundrechte ist und deswegen bei jedem Behördenhandeln, das Grundrechte betrifft, intervenieren darf.
12
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verhandelte im Juli 2009 über die Klage des Iraners P. gegen seine
Abschiebung nach Griechenland. Den Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage hatte es zuvor abgelehnt und P. war im Januar 2008 nach Griechenland abgeschoben worden. Die Anwältin und die NGO Pro Asyl hielten Kontakt zu ihm und dokumentierten seine Situation in Griechenland.
Für die mündliche Verhandlung durfte P. nach Deutschland zurückkehren. Das Gericht stellte fest, dass sich mittlerweile die Sachlage geändert habe und eine Abschiebung den
Kläger in seinen Rechten verletzen würde. Es verpflichtete in seinem Urteil das BAMF zum Selbsteintritt. Das Urteil
(Az. 7 K 4376/07.F.A ) ist abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/ 15906.pdf.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Im Vergleich mit anderen Mitgliedsstaaten fällt auf, dass es nur sehr wenige Hauptsacheentscheidungen in Dublinverfahren gibt, die Verfahren dauern viele Monate bis mehrere Jahre.
In diesem langen Zeitraum ergeben sich häufig
Umstände, auf Grund derer sich das Klagebegehren dann erledigt.
Entscheidet das erstinstanzliche Gericht in der
Hauptsache negativ, kann der Betroffene beim
Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen. Ebenso kann das
Bundesamt im Fall einer positiven Hauptsacheentscheidung – wenn also das Bundesamt zum
Selbsteintritt (oder zur Neubescheidung) verpflichtet wurde oder das Gericht sogar über den
Asylantrag entschieden hat – diesen Weg wählen. Das war bei jedem der (wenigen) positiven
Urteile zu Abschiebungen nach Griechenland der Fall, so dass kein einziges Urteil, das das
Bundesamt zum Selbsteintritt in einem Griechenlandverfahren verpflichtete, rechtskräftig wurde. Hat eine Person in Deutschland keinen Asylantrag gestellt und möchte sie sich gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde, sie in einen anderen Mitgliedsstaat abzuschieben, wehren, ist ebenfalls eine Klage beim Verwaltungsgericht möglich. In der Praxis sind diese Verfahren allerdings selten.

2.2.5. Petitionsverfahren
Ist eine Person mit der - u.U. zwischenzeitlich sogar gerichtlich bestätigten - Entscheidung des
Bundesamtes oder der Ausländerbehörde nicht einverstanden, kann sie sich mit einer Petition an den Deutschen Bundestag oder an den Landtag des entsprechenden Bundeslandes wenden.
Der sog. Petitionsausschuss, bestehend aus
Abgeordneten des Parlaments, kann der Regierung empfehlen, eine andere Entscheidung zu treffen, also das Bundesamt zu verpflichten, den
Selbsteintritt auszuüben bzw. die Ausländerbehörde zu verpflichten, von einer Abschiebung abzusehen. So hat zum Beispiel der Deutsche
Bundestag im Jahr 2011 dem Bundesinnenministerium einstimmig (!) empfohlen, im Verfahren einer tschetschenischen Familie von der
Abschiebung nach Polen abzusehen und den
Selbsteintritt auszuüben.13
Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass Petitionen zwar recht häufig eingelegt werden, aber da das Bundesamt ungeachtet des laufenden
Petitionsverfahrens nach wenigen Wochen das
Verfahren weiterführt, es kaum eine Petition bis zur Beratung und Beschlussfassung im Petitionsausschuss bzw. im Bundestag schafft.
13

Einzelheiten zu diesem Verfahren können auf der Seite www.hasbulat-will-leben.de nachgelesen werden.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

3. Umsetzung der Dublin-II-Verordnung in Deutschland
3.1 Information der Betroffenen und Anwendung der Kriterien durch die
Behörden
3.1.1 Das Recht auf Information

c)

Art. 3 Abs. 4 Dublin-II-Verordnung sieht vor, dass der Asylsuchende schriftlich und in einer ihm hinreichend bekannten Sprache über die
Anwendung dieser Verordnung, ihre Fristen und ihre Wirkung unterrichtet wird.14 Dies ist denkbar vage gehalten und die Praxis in den Mitgliedsstaaten zeigt, dass diese Vorschrift sehr unterschiedlich ausgelegt wird.

Schließlich müsste der Betroffene darüber informiert werden, welches Land sich für zuständig erklärt hat bzw. dass und wann er dorthin abgeschoben werden soll.

Damit ein Asylsuchender nicht nur Objekt des
Behördenverfahrens ist, müsste er nach Ansicht der Autoren folgende Informationen erhalten:
a)
Dass es ein durch die Dublin-II-Verordnung geregeltes Zuständigkeitsbestimmungsverfahren gibt und sein Asylverfahren möglicherweise nicht in dem Land durchgeführt wird, in dem er sich befindet – respektive dass er aus diesem
Land, in dem er gar keinen Asylantrag gestellt hat, in ein Land abgeschoben wird, in dem er zuvor Asyl beantragt hat;
b)
Welche Informationen über seine Person vorliegen und auf Grundlage welcher Angaben welches Land angefragt werden soll bzw. angefragt wurde. Das schließt ein, dass er die Möglichkeit hat, der Behörde die für die Zuständigkeitsbestimmung relevanten Angaben zu machen. Dazu müsste er über die Kriterien der Zuständigkeitsbestimmung und die länder- bzw. personenspezifischen Ausnahmen 15 informiert und entsprechend befragt werden. Dies wiederum setzt voraus, dass ein Behördenmitarbeiter, der mit den Kriterien der D-II-VO und den Vorschriften zum Selbsteintritt vertraut ist, den Betroffenen belehrt und ein „Dublin-Interview“ durchführt;

In der Praxis stellt die Behörde den Betroffenen nur einen kleinen Teil dieser Informationen bereit und erhebt auch nur einen Teil der relevanten Informationen.

zu a)
Asylantragsteller erhalten ein allgemein gehaltenes Informationsblatt zur D-II-VO. Es wird nach Erfahrung der Autoren nicht mündlich übersetzt oder gar erläutert, und beispielsweise in der Außenstelle des BAMF in Gießen erhalten die Asylsuchenden es häufig nicht in ihrer Muttersprache, sondern auf Deutsch. Es erläutert auch nicht die Zuständigkeitskriterien, sondern informiert nur darüber, dass es möglich ist, dass
Deutschland in bestimmten Fällen unzuständig ist. Anschließend erfolgen Hinweise (aber keine
Erklärungen) zu Art. 7-10 und 13. Art. 15 wird weder implizit noch explizit erwähnt. Personen, die keinen Asylantrag gestellt haben und bei denen dennoch ein Dublinverfahren eingeleitet wurde, werden kaum oder überhaupt nicht informiert. Dies betrifft unter anderem unbegleitete Minderjährige, also Personen, die besonders schutzbedürftig sind.
Immerhin knapp ein Drittel der Akten, bei denen eines der beiden Dublinreferate im Jahr
2011 die Zuständigkeit eines anderen MS prüfte, waren für Personen angelegt worden, die in
Deutschland keinen Asylantrag gestellt hatten.16

14

Auch Art. 18 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung sieht eine
Unterrichtung der Person vor, deren Fingerabdrücke abgenommen werden.
15
Z.B. über die Selbsteintrittspraxis gegenüber Malta oder die Möglichkeit, drohende unmenschliche Behandlung im
Zielstaat als Grund für einen Selbsteintritt geltend zu machen.

16

Siehe Tabelle 1 im Anhang: Insgesamt wurde in 15913
Fällen von einem der Dublinreferate die Zuständigkeit eines anderen Staates geprüft, in 4223 Fällen hatte die betroffene Person (noch) keinen Asylantrag in Deutschland gestellt. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Auch die Belehrung über die Abfrage bei Eurodac erhalten nicht alle Personen. Die Autoren befragten über 50 unbegleitete Minderjährige im Bundesland Hessen, die vor ihrer Asylantragstellung auf Polizeidienststellen Fingerabdrücke abgegeben hatten. Keiner von ihnen berichtete, dort eine Belehrung bzgl. Eurodac oder Dublin-II erhalten zu haben, weder in mündlicher noch in schriftlicher Form. Vom zuständigen Innenministerium war trotz mehrerer Nachfragen bis
Redaktionsschluss keine Stellungnahme dazu zu erhalten. Die Bundesregierung teilte dem Bundestag im
Juli 2010 mit, die von Dublinverfahren Betroffenen würden „bereits frühzeitig über die Einleitung eines Ersuchens um Übernahme an einen
Mitgliedsstaat und damit über eine mögliche
Überstellung dorthin informiert.“17. Nach der
Erfahrung der Autoren ist die Information der
Betroffenen allerdings mangelhaft und eine große Zahl von Asylsuchenden erfährt vor ihrer
Abschiebung nichts über die Einleitung und das
Ergebnis ihres Dublinverfahrens.
Asylantragsteller können in der Praxis prinzipiell auf zwei Wegen Kenntnis von einem möglichen
Übernahmeersuchen erhalten. Wenn sie vom
Bundesamt angehört werden, kann der Sachbearbeiter ihnen ggf. im Anschluss an die Anhörung mitteilen, dass zunächst die Zuständigkeit
Deutschlands für den Asylantrag geprüft wird.
Dies geschieht nach Erfahrung der Autoren nicht in allen Anhörungen und es werden auch nicht alle von einem Dublinverfahren Betroffenen angehört. Seit Herbst 2010 schickt das Dublinreferat in Dortmund an einen Teil der Asylantragsteller ein Schreiben in deutscher Sprache, das lediglich besagt, ihr Asylantrag werde im Referat
431 behandelt – ein Schreiben, dass den allermeisten völlig unverständlich sein muss. Beides kann kaum als ausreichende Information i.S.d.
Art. 3 Abs. 4 D-II-VO betrachtet werden.
Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten und zunächst keinen Asylantrag stellen, wie z.B. unbegleitete Minderjährige (bei denen in einigen Bundesländern die Chance besteht, erst nach einer gründlichen Prüfung der Asylgründe

durch den Vormund oder eine andere Person die Entscheidung zu treffen, ob ein Asylantrag gestellt wird, siehe Abschnitt 3.4.2.), werden nach Erfahrung der Autoren nur in Einzelfällen über die Einleitung ihres Dublinverfahrens in
Kenntnis gesetzt.
Personen, die noch von der Bundespolizei an der Grenze zurückgeschoben werden bzw. sofort inhaftiert und dann aus der Haft heraus zurückgeschoben werden, erhalten immerhin vorab eine Zurückschiebungsverfügung, aus der sich ergibt, dass sie in ein anderes (wenn auch nicht immer, in welches) Land zurückgeschoben werden sollen, so dass sie – sofern der Zugang zu einem Rechtsanwalt technisch möglich ist – dagegen vorgehen können bzw. zumindest in etwa wissen, was mit ihnen geschehen soll. zu b)
Auf der Basis welcher Informationen ihr Dublinverfahren durchgeführt wird, ist den Betroffenen in aller Regel unklar. Sie können nicht sicherstellen, ob alle Informationen, die sie gegenüber deutschen Behörden gemacht haben, in dem Verfahren berücksichtigt werden.
So sind beispielsweise nicht alle Protokolle der
Vernehmungen bzw. Anhörungen den Mitarbeitern des Dublinreferates bekannt. Protokolle der Bundespolizei finden sich häufig nicht in der
Bundesamtsakte, Anhörungsprotokolle vom
Bundesamt werden manchmal erst mit Monaten Verspätung verschriftlicht.18
Damit ein Betroffener dem Dublinreferat alle relevanten Angaben machen kann, müsste er über das Verfahren einschließlich der Zuständigkeitskriterien und ihre Reihenfolge informiert und entsprechend angehört werden. Beides, sowohl das Recht auf Information sowie das
Recht auf ein Interview, ist durch das derzeit in
Deutschland angewandte Verfahren nicht sichergestellt bzw. strukturell ausgeschlossen. (Zu den Anhörungen und den Folgen dieser Praxis für die korrekte Zuständigkeitsbestimmung vgl.
Abschnitt 3.1.2.)

18
17

Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische
Anfrage, Bundestags-Drucksache Nr. 17/2655 vom
26.7.2010, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/ dip21/ btd/17/026/1702655.pdf.

Das Dublinreferat in Nürnberg kann überhaupt nicht auf
Anhörungsprotokolle zurückgreifen – aus dem einfachen
Grund, dass die Personen, deren Verfahren dort durchgeführt werden, mangels Asylantrag nicht vom Bundesamt angehört werden.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

zu c)
Das deutsche Asylverfahrensgesetz sieht vor, dass Dublin-Bescheide in der Regel erst am Tag der Abschiebung durch die Polizei zugestellt werden.19 Die Bundesregierung rückt davon auch nach den jüngsten Entscheidungen des
EGMR und des EuGH nicht ab. Den Ausländerbehörden als Landesbehörden ist es allerdings möglich, individuell oder auch generell Bescheide frühzeitig zuzustellen oder die Betroffenen in anderer Weise zu informieren.
Am 19.4.2012 wies die Landesregierung von
Schleswig-Holstein die dortigen Ausländerbehörden an, den Asylsuchenden den ablehnenden Dublin-Bescheid vor der Abschiebung zuzustellen. Eine Frist zwischen Bescheidzustellung und Abschiebung wurde nicht genannt, jedoch müssen die Bescheide sofort zugestellt werden, wenn das Dublinreferat des BAMF sie der Ausländerbehörde übersendet. Begründet wurde dies damit, dass immer mehr Gerichte Eilrechtsschutz gegen Dublin-Abschiebungen gewährten, dies aber nicht möglich sei, wenn der Bescheid erst am Tag der Abschiebung zugestellt werde.
Einige Monate später erließen die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz (3.7.), Brandenburg
(12.7.) und Nordrhein-Westfalen (26.7.) ähnliche Regelungen, die aber darüber hinaus konkret forderten, dass mindestens eine Woche zwischen Bescheidzustellung und geplanter
Abschiebung liegen müsse.20 Bei Redaktionsschluss dieses Berichts (Dezember 2012) sind diese vier Bundesländer damit die einzigen, die
Konsequenzen aus der nationalen und europäischen Rechtsprechung zum Eilrechtsschutz gezogen haben. Zeitweise gab es auch zuvor bereits auf Länder- oder Bezirksebene einzelne
Regelungen, dass bei bestimmten Zielstaaten
(Griechenland bzw. Italien) oder bestimmten
Gruppen (z.B. Familien mit Kindern) vorab eine
Information über die Abschiebung zu erfolgen
19

Dublin-Bescheide werden also, anders als dies in anderen Bereichen des Verwaltungsrechts üblich ist, nicht von der Behörde zugestellt, die sie erlässt, sondern von der
Ausländerbehörde bzw. Polizei, die die Abschiebung vollstreckt. Da diese Behörden den jeweiligen Landesregierungen unterstellt sind, kommt es zu einer bundesweit mittlerweile sehr unterschiedlichen Praxis der Bescheidzustellung.
20
Der rheinland-pfälzische Erlass ist abrufbar unter http://wp.asyl-rlp.org/wp-content/uploads/2011/05/1207-03_DublinIIVO.pdf. habe.21 In einigen Regionen werden Abschiebungen einem Teil der Betroffenen vorab formlos angekündigt, unabhängig vom Zielstaat der
Abschiebung oder einer möglichen besonderen
Schutzbedürftigkeit. Ob ein Betroffener informiert wird, ist für ihn jedoch nicht voraussehbar und letztlich dem Zufall überlassen.
Unbegleiteten Minderjährigen und ihren Vormündern wird laut Auskunft der Bundesregierung vom 18.4.2011 der ablehnende Bescheid zugestellt bzw. sie werden, wenn in Deutschland kein Asylantrag gestellt wurde, über die bevorstehende Abschiebung informiert.22 Doch den Autoren sind diverse Verfahren bekannt, in denen diese Zustellung nicht erfolgte und das
Bundesamt aus diesem Versäumnis keinerlei
Konsequenzen im Sinne einer „Folgenbeseitigung“ zog. Der genaue Abschiebungstermin muss auch Minderjährigen nicht mitgeteilt werden.
Der 17jährige Khalib flüchtet im Dezember 2010 nach Deutschland. Das Jugendamt nimmt ihn in
Obhut und bringt ihn in einem Kinderheim unter.
Das Familiengericht bestellt einen Vormund und einen Rechtsanwalt für ihn. Khalib berichtet beiden, dass er zuvor in den Niederlanden Asyl beantragt habe, dort aber aus gravierenden
Gründen nicht habe bleiben können. Der
Rechtsanwalt nimmt Kontakt mit dem Dublinreferat auf. Der Sachbearbeiter sichert ihm schriftlich zu, dass er, falls eine Abschiebung geplant werde, mindestens eine Woche vorher benachrichtigt werde. Auch der Vormund werde zu diesem Zeitpunkt eine Mitteilung erhalten.

21

Ein entsprechender Erlass vom Februar 2010 aus
Schleswig-Holstein, Abschiebungen nach Griechenland betreffend, ist abrufbar unter http://www.frsh.de/fileadmin/pdf/behoerden/Erlass_0102-2010_Rueckfuehrungen-Griechenland.PDF. Im Jahr
2011 kündigte beispielsweise eine hessische Ausländerbehörde Abschiebungen nach Italien den Betroffenen eine
Woche im Voraus schriftlich an, wenn auch ohne den
Bescheid zuzustellen. Diese Praxis wurde allerdings nach einigen Monaten eingestellt, so dass dort nun wieder unangekündigte Abschiebungen stattfinden.
22
Bundestags-Drucksache 17/5579 vom 18.4.2011, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/ btd/17/055/1705579.pdf, dort S. 6. Dies ist lediglich eine laut Auskunft der Bundesregierung geübte Praxis, es besteht nach wie vor keine bundesweite gesetzliche Verpflichtung, Dublin-Bescheide vor dem Tag der Abschiebung zuzustellen. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Dennoch wird Khalib im Juli 2011 ohne jede Ankündigung mitten in der Nacht im Kinderheim verhaftet, auf der Polizeistation mehrere Stunden an eine Heizung gefesselt und am nächsten
Morgen mit dem Flugzeug in die Niederlande abgeschoben. Weder Bundesamt noch Ausländerbehörde sind bereit, diese Abschiebung zu stoppen, obwohl sie entgegen der schriftlichen
Zusicherung ohne jede Ankündigung erfolgt.
Das Bundesamt ist zwar dazu verpflichtet, Asylsuchenden bzw. ihren Bevollmächtigten Akteneinsicht zu gewähren. In der Praxis dauert es allerdings häufig mehrere Wochen, manchmal
Monate, bis Akteneinsichtsersuchen beantwortet werden. Auch sind die Akten nicht immer vollständig, es fehlen beispielsweise die Angaben zu den Eurodac-Treffern oder die Mitteilung an den zuständigen MS, dass der Betroffene untergetaucht und deshalb die Frist zu verlängern sei. Auch das Einschalten eines Rechtsanwalts, der regelmäßig Akteneinsicht beantragt, schützt also nicht unbedingt vor einer unangekündigten Abschiebung.
Die NGO Pro Asyl dokumentierte im Dezember
2011 folgenden Fall:
„Der Eritreer Kidane T. flüchtet im Dezember
2010 von Italien nach Deutschland. Hier stellt im
Juli 2011 seine Anwältin einen Eilantrag gegen die drohende Abschiebung nach Italien vor dem
Verwaltungsgericht in Frankfurt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge reagiert schnell: eine Abschiebung nach Italien sei nicht möglich, da Italien die Übernahme von Kidane T. abgelehnt habe. Daraufhin lehnt das Gericht den Eilantrag ab, denn eine Abschiebung sei ja aktuell nicht geplant. Ab diesem Zeitpunkt ist es nun plötzlich nicht mehr möglich, Akteneinsicht zu bekommen. Auf mehrere Anschreiben der
Anwältin reagiert das BAMF schlicht nicht. Das bedeutet allerdings nicht, dass nichts geschieht:
Inzwischen hat das BAMF Italien erneut angefragt. Und Italien stimmt schließlich doch der
Übernahme von Kidane T. zu. Ohne Kidane T. oder seine Anwältin vorab zu informieren werden nun Nägel mit Köpfen gemacht. Rechtsmittel einzulegen ist nicht möglich, es gibt ja keine
Information über eine nun doch bevorstehende
Abschiebung nach Italien. Rechtsschutzmöglichkeiten werden so gezielt hintertrieben.

Am 6.Dezember wird Kidane T. früh morgens aus der Unterkunft in Oberursel im hessischen
Hochtaunuskreis abgeholt und direkt zum Flughafen gebracht.“23
Vertreter des Dublinreferates betonten in der
Vergangenheit mehrfach, die Betroffenen selbst wüssten stets sehr gut, dass ihnen die Abschiebung in einen anderen Staat drohe. Davon abgesehen, dass die Kenntnis der Zuständigkeitsregeln der D-II-VO nicht pauschal allen Asylsuchenden unterstellt werden kann, ersetzt eine solche pauschale Vermutung nicht die Erfüllung der Informationspflicht aus Art. 3 Abs. 4 D-II-VO.

3.1.2 Probleme bei der korrekten Anwendung der Kriterien
a) Problem, dass der Sachverhalt nicht richtig bzw. erschöpfend ermittelt wird:
Weder im Aufenthaltsgesetz noch im Asylverfahrensgesetz ist geregelt, wie Personen im
Dublinverfahren zu befragen sind. Ein „DublinInterview“ ist nirgends explizit vorgesehen, deshalb können nur die Informationen, die im
Rahmen der Anhörung im Asylverfahren ohnehin erhoben werden, für das Dublinverfahren verwendet werden. Allerdings sieht die interne
Dienstanweisung des BAMF vor, dass in bestimmten Konstellationen auf eine Anhörung verzichtet werden kann.24
Um die Kriterien der D-II-VO richtig anwenden zu können, müsste das Bundesamt eigentlich
23

Auszug aus der Dokumentation von Pro Asyl, abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fmdam/NEWS/2011/Kidane_Ts_Odysee_durch_Europa.pdf.
24
Siehe Seite 96 der Dienstanweisung, die von Pro Asyl veröffentlicht wurde, abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fmdam/i_Asylrecht/Dienstanweisungen-Asyl_BAMF2010.pdf. Gerade was die Anhörungspraxis im Dublinverfahren betrifft, wird die Dienstanweisung allerdings in den verschiedenen Außenstellen des Bundesamtes recht unterschiedlich umgesetzt. Einheitlich ist lediglich, dass die Anhörungen in Anwesenheit eines Dolmetschers stattfinden, dass das Gesagte protokolliert wird, dass eine mündliche Rückübersetzung des Protokolls zumindest angeboten wird und dass das Protokoll i.d.R. nach einigen Wochen schriftlich übersandt wird. Ein Teil der Anhörungen findet mittlerweile per Videokonferenz statt, so dass sich der Interviewer und/oder der Dolmetscher nicht im gleichen Raum befinden wie der Befragte.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

umfassend Informationen über die betroffene
Person erheben. Dazu wäre neben einer Eurodacabfrage ein Interview nötig, in dem sowohl die entsprechenden Fragen gestellt werden darunter auch solche, die für die Anwendung der humanitären Klausel bzw. der jeweils üblichen Selbsteintrittspraxis erheblich sind – als auch die Person darüber aufgeklärt wird, in welchem Zusammenhang ihre Antworten mit einer Zuständigkeitsbestimmung stehen. Eine solche Belehrung oder ein solches Interview sind nicht vorgesehen.

deren Ehepartner sich z.B. bereits in Skandinavien befinden, in Deutschland von der Polizei aufgegriffen und finden sich auf einmal im Asylverfahren wieder. Sie könnten sich möglicherweise auf Art. 7, 8 oder 15 D-II-VO berufen.
Doch ein Dublinverfahren “zu ihren Gunsten” kann nur eingeleitet werden, wenn die zuständige Außenstelle des Bundesamtes die Akte ins
Dublinreferat weiterleitet. Das setzt voraus, dass der Anhörer zumindest eine grobe Vorstellung von den Kriterien der D-II-VO hat, was in vielen Fällen nicht der Fall ist.

Es werden zunächst nur Informationen über den
Reiseweg erhoben, und zwar maßgeblich über
Eurodac, meist auch zusätzlich durch eine Reisewegsbefragung. Stellt die Person anschließend keinen Asylantrag, findet keinerlei weitere
Datenerhebung im Hinblick auf die Anwendung der Dublin-II-VO statt und das Dublinverfahren läuft, wenn Eurodac oder Reisewegsbefragung entsprechende Hinweise auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ergeben haben, ohne
Wissen der Person ab.

In einigen, aber nicht allen Außenstellen kommen sog. “Dublin-Checklisten” zum Einsatz, die dem Anhörer helfen sollen, zu entscheiden, ob er die Akte an das Dublinreferat abgibt. Den
Autoren sind allerdings auch einige Fälle bekannt, in denen diese Weiterleitung nicht erfolgte, obwohl die Betroffenen ausdrücklich darum gebeten hatten. Auch wirkt sich hier die lange Dauer der Asylverfahren in Deutschland negativ aus. Da es in vielen Fällen mehrere Monate dauert, bis ein Asylsuchender angehört wird, ist die Frist für ein Aufnahmeersuchen bereits abgelaufen, wenn sich in der Anhörung herausstellt, dass Hinweise auf die Zuständigkeit eines anderen Staates vorliegen.

Geht es um Betroffene, die einen Asylantrag gestellt haben, soll zwar in der Regel eine Anhörung stattfinden, in der – so sieht es das BAMF für Asylanhörungen vor - beispielsweise auch nach Angehörigen, deren Aufenthaltsort und
-status gefragt wird. Doch zum einen werden nicht alle für die Anwendung der Dublin-II-VO relevanten Sachverhalte abgefragt, zum anderen ist nicht sichergestellt, dass die im Interview erhobenen Informationen in die Zuständigkeitsbestimmung einfließen. Denn Dublinverfahren beginnen – wenn ein Eurodac-Treffer vorliegt – oft wenige Tage nach der Einreise des Betroffenen ins Bundesgebiet. Bis die Anhörung durchgeführt ist, das Protokoll geschrieben und in die
Akte aufgenommen ist, können hingegen mehrere Monate vergehen.
Es liegen keine Statistiken vor, wie viele Personen im Rahmen der Dublin-II-VO abgeschoben werden, ohne dass sie jemals angehört wurden
– üblich ist diese Praxis durchaus, und sie ist, wie erwähnt, auch in der Dienstanweisung des
Bundesamtes als Möglichkeit vorgesehen.
Problematisch ist auch die Situation derjenigen, die im Rahmen des Dublin-Systems beispielsweise mit ihren Ehepartnern zusammengeführt werden könnten. Nicht selten werden Personen,

Sehr problematisch ist, dass das Bundesamt auch in diesen Verfahren die Beteiligten nicht ausreichend informiert. Teilt beispielsweise eine weibliche Antragstellerin in der Anhörung mit, dass sie die Zusammenführung mit ihrem in einem anderen Mitgliedsstaat als Flüchtling anerkannten Ehemann wünscht, erhält sie keine
Information darüber, ob überhaupt bzw. wann ein Übernahmeersuchen an den Mitgliedsstaat gerichtet wurde. Auch im umgekehrten Fall, wenn ein Mitgliedsstaat das Bundesamt um
Übernahme eines Angehörigen bittet, informiert das Bundesamt die hier lebende Person nicht über die Anfrage und seine Antwort an den Mitgliedsstaat. So kommt es vor, dass
Übernahmeersuchen durch das Bundesamt abgelehnt werden, weil kein DNA-Gutachten vorliege, das die Verwandtschaft beweise – ohne dass die Angehörigen darüber informiert worden wären, dass ein solches vorzulegen ist.25 25

DNA- Tests werden nicht immer verlangt, können aber verlangt werden - ohne die Hilfe einer Beratungsstelle oder

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Frau Omar flüchtet mit ihrem Mann aus Somalia, doch auf dem Weg nach Europa werden sie getrennt. Ihm gelingt es, nach Norwegen zu gelangen, er wird dort rasch als Flüchtling anerkannt. Sie versucht, ihm zu folgen, wird jedoch in
Deutschland von der Polizei aufgegriffen und in ein Flüchtlingslager gebracht.
Sie gibt in der Anhörung an, dass ihrem Mann in
Norwegen den Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, dass sie von ihm schwanger ist und so schnell wie möglich nach Norwegen reisen möchte. Der Anhörer gibt die Akte an das Dublinreferat ab, doch dort passiert monatelang nichts. Auf Nachfrage erklärt der Sachbearbeiter, es habe die schriftliche Einverständniserklärung gefehlt. Der Anhörer lässt Frau Omar diese umgehend unterschreiben, doch wieder passiert monatelang nichts.
Lange nach Ablauf der Frist gem. Art. 17 Abs. 1 richtet das Dublinreferat schließlich ein Übernahmeersuchen an Norwegen. Frau Omar steht mittlerweile kurz vor der Entbindung. Als sie hört, dass Norwegen das Übernahmeersuchen abgelehnt hat, reist sie kurzerhand auf eigene
Faust zu ihrem Mann, in der Hoffnung, dass man sie und das leibliche Kind ihres Ehemannes nicht mehr trennen wird.
Fragen, die die Kriterien des Art. 15 betreffen, werden in den Anhörungen nicht gestellt und
Art. 15 wird auch in der (einzigen) schriftlichen
Belehrung zum Dublinverfahren nicht erwähnt.
Im Interview wird weder nachgefragt, ob die
Person auf die Hilfe eines Familienangehörigen angewiesen ist bzw. solche Hilfe selbst erbringt , noch, ob es im Falle eines unbegleiteten Minderjährigen eine aufnahmebereite Person in
Europa gibt. Ob es Verwandte gibt, wird zwar regelmäßig abgefragt, aber die persönliche Beziehung spielt in den Anhörungen keinerlei Rolle und es wird auch nicht darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Auskunft Auswirkungen auf die Zuständigkeitsbestimmung haben könnte.

b) Problem, dass selbst bei bekanntem Sachverhalt die Kriterien nicht in der richtigen Reihenfolge angewendet werden:
Sind die relevanten Informationen erhoben worden, ist für eine korrekte Zuständigkeitsbestimmung selbstverständlich auch nötig, dass diese Informationen entsprechend gewürdigt und ggf. einem angefragten Staat mitgeteilt werden. Den Autoren sind, wie bereits erwähnt, einige Fälle bekannt, in denen die Anwesenheit eines nahen Angehörigen i.S.d. Art. 7 oder 8 vom Bundesamt ignoriert wurde und stattdessen einer der folgenden Artikel – z.B. Art. 10 (1) oder Art. 13 - angewendet wurde.26
Den Autoren sind ebenfalls mehrere Fälle bekannt, in denen das Bundesamt dem angefragten Staat mitteilte, der Betroffene habe nicht erklärt, das Dublingebiet verlassen zu haben, obwohl der dies in seiner Anhörung oder auf andere Weise dem Bundesamt mitgeteilt hatte.
In einigen Fällen kann der Grund darin liegen, dass Anhörungsprotokolle mit wochen- oder monatelanger Verzögerung in die Akte aufgenommen werden und der Sachbearbeiter im
Dublinreferat schlicht keine Kenntnis von den
Aussagen des Asylsuchenden hatte. Doch zumindest in diesem den Autoren bekannten Fall war belegbar, dass der Sachbearbeiter das Protokoll kannte und dennoch falsche Angaben gegenüber Ungarn machte:
Herr Khadar flüchtet über Griechenland, Mazedonien und Serbien zunächst nach Ungarn. Dort wird er an der Grenze inhaftiert und nach wenigen Tagen nach Serbien abgeschoben. Von dort wird er nach Mazedonien und schließlich nach
Griechenland abgeschoben. Im zweiten Anlauf gelingt es ihm, nach Deutschland zu gelangen.
Fingerabdrücke hat er auf seinem Weg durch
Europa nur in Griechenland hinterlassen.
Er schildert in der Anhörung beim Bundesamt, dass er in Ungarn keinen Asylantrag stellen konnte, sondern nach Mazedonien abgeschoben wurde. 26

eines Anwalts ist es für die Betroffenen aber fast unmöglich, dieses Verfahren erfolgreich zu durchlaufen, weil sie mangelhaft informiert werden.

Das Problem, dass Heiratsurkunden nicht anerkannt werden und deshalb Ehepaare ohne eigene Kinder Schwierigkeiten haben, sich auf Art. 7 oder 8 zu berufen, kann noch hinzutreten, ist aber kein spezifisch deutsches Phänomen.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Dennoch richtet das Dublinreferat ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn, behauptet eine
Asylantragstellung in Ungarn und verschweigt trotz offensichtlicher Kenntnis des Protokolls, dass Herr Khadar in der Anhörung angegeben hatte, aus Ungarn abgeschoben worden zu sein.
Dass zumindest ein Teil der Anhörer in den Außenstellen nicht mit den Regelungen der DublinII-VO vertraut ist, hat weitere Konsequenzen. In dem für alle Anhörungen obligatorischen Fragenkatalog ist seit September 2010 die Frage enthalten, ob es Gründe gebe, die einer Abschiebung in den mutmaßlich zuständigen Dublinstaat entgegenstünden.
Den Autoren sind diverse Fälle bekannt, in denen der Anhörer diese Frage entweder nicht stellte oder sich weigerte, die Antworten vollständig zu protokollieren. In anderen Fällen war das Dublinverfahren bereits abgeschlossen und die Zuständigkeit Deutschlands stand z.B. durch
Fristablauf fest, als der Asylsuchende in der
Außenstelle des Bundesamtes angehört wurde.
Der Anhörer gab dann allerdings, weil er in der
Anhörung vom Antragsteller die Einreise über einen anderen Mitgliedsstaat geschildert bekam, die Akte zur Prüfung der Einleitung eines
Dublin-Verfahrens an das entsprechende Referat ab. Er löste also, obwohl Deutschland längst für die Prüfung des Asylantrages zuständig war, ein erneutes Dublinverfahren aus, vermutlich weil er die entsprechenden Aktenvermerke nicht kannte oder nicht richtig interpretierte.
Ein solcher Vorgang ist deshalb so problematisch, weil ein Asylsuchender nach Auffassung des Bundesamtes und auch einiger Verwaltungsgerichte kein subjektives Recht auf die
Durchführung seines Verfahrens im „richtigen
Staat“ hat. Falls sich der – im ersten Verfahren bereits für unzuständig erklärte – Mitgliedsstaat also im „erneuten“ Dublinverfahren doch noch irrigerweise für zuständig erklärt, ist es durchaus denkbar, dass das Bundesamt eine Abschiebung in diesen Staat betreibt und dabei auch nicht von einem Gericht daran gehindert wird.
Doch selbst wenn dieser „worst case“ nicht eintritt, zieht die Übersendung der Akte an das
Dublinreferat eine monatelange Verzögerung des Asylverfahrens nach sich, da in dieser Zeit keine materielle Entscheidung über den Asylantrag getroffen werden kann.

Die durch einige deutsche Verwaltungsgerichte bekräftigte Ansicht, es gebe kein subjektives
Recht auf ein Asylverfahren im „richtigen“ Staat, erklärt die fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitskriterien letztlich für unbeachtlich und eröffnet dem Bundesamt die Möglichkeit, prinzipiell jeden Mitgliedsstaat für zuständig zu halten und auch zuständig „zu machen“; letzteres geschieht in der Regel dadurch, dass der angefragte Mitgliedsstaat auf das Übernahmeersuchen nicht antwortet und deshalb durch Verfristung zuständig wird.
Herr Tesfay aus Eritrea flüchtet im Jahr 2003 über Italien nach Deutschland. Er gibt in Italien
Fingerabdrücke ab, dennoch wird sein Asylverfahren in Deutschland durchgeführt. Das Bundesamt lehnt den Asylantrag von Herrn Tesfay ab. Abgeschoben wird er allerdings nicht und lebt einige Jahre geduldet in Deutschland. Im
Jahr 2009 stellt Herr Tesfay einen Asylfolgeantrag. Seine Chancen stehen gut, da sich die Anerkennungspraxis des Bundesamtes mittlerweile geändert hat.
Doch das Bundesamt leitet wegen des Eurodactreffers aus dem Jahr 2003, der offenbar aus technischen Gründen jetzt erst gefunden wird, ein Dublinverfahren ein und ersucht Italien um
Übernahme. Dabei verschweigt der Sachbearbeiter, dass Deutschland bereits ein Asylerstverfahren durchgeführt hatte. Italien antwortet nicht und wird durch Verfristung zuständig. Herr
Tesfay wendet sich an das Verwaltungsgericht, doch die Richterin entscheidet, dass Italien nun zuständig sei. Unabhängig davon, dass gemäß der D-II-VO Deutschland zuständig wäre, sei die
Zuständigkeit Italiens durch das Ausbleiben einer Antwort auf das Übernahmeersuchen entstanden, Italien habe quasi durch Schweigen den Selbsteintritt ausgeübt. Herr Tesfay habe kein Recht, sein Asylfolgeverfahren im eigentlich zuständigen Staat – Deutschland – durchführen zu lassen und müsse seine Abschiebung nach
Italien hinnehmen. 27

27

Beschluss des VG Darmstadt vom 1.9.2009, Az. 4 L
914/09.DA.A (3), abrufbar unter http://www.asyl.net/ fileadmin/user_upload/dokumente/17205.pdf. Der Beschluss war unanfechtbar, Verfassungsbeschwerde wurde nicht erhoben, doch letztlich wurde die Zuständigkeit
Deutschlands dadurch hergestellt, dass die Abschiebung nicht innerhalb der Frist vollzogen wurde.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

c) Problem, dass in Auslegung der „N.S.“Entscheidung des EuGH eine „Reservezuständigkeit“ der an Griechenland angrenzenden
Staaten angenommen wird:



- -

29

3.1.3. Der Familienbegriff und das Kriterium der Familieneinheit
In der deutschen Fassung der D-II-VO ist Art. 15 missverständlich formuliert und legt nahe, es dürfe sich bei den Verwandten, die aus humanitären Gründen zusammengeführt werden können bzw. sollen, nur um Mitglieder der Kernfamilie handeln. Zwar hat das Bundesamt die Begriffsunklarheit in seiner internen Dienstanweisung beseitigt, diese orientiert sich an der
Wortwahl in der englischen Fassung.
Doch Art. 15 kommt trotzdem sehr selten zur
Anwendung. Deutschland stimmte im Jahr 2011 in 2169 Fällen der Aufnahme von Asylsuchenden aus einem anderen MS zu. Darunter waren nur 25 Zustimmungen auf der Basis von Art. 15
D-II-VO.30 Nur in 12 Fällen erfolgte eine Zustimmung anderer MS zu einem Übernahmeersuchen des Bundesamtes auf der Basis von Art. 15.

-

28

-

28

Entscheiderbrief 2/2012, dort S. 2, abrufbar unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikation en/Entscheiderbrief/2012/entscheiderbrief-02-2012.html.
Der Entscheiderbrief ist eine Art Newsletter des BAMF für die Sachbearbeiter im Asylbereich, ist aber öffentlich zugänglich.

Da die insgesamt niedrige Zahl der Zustimmungen des Bundesamtes auf der Basis von Art. 15 auch darin begründet sein kann, dass kaum
Anfragen auf der Basis von Art. 15 an Deutschland gerichtet wurden, ist es aufschlussreicher, die Verfahren zu betrachten, in denen aus familiären Gründen der Selbsteintritt nach Art. 3
Abs. 2 beantragt wird. Hier ist eine sehr restriktive Haltung des Bundesamtes festzustellen. So sind den Autoren Verfahren bekannt, in denen die Abschiebung unbegleiteter Minderjähriger geplant war, obwohl sie in Deutschland Geschwister, Onkel oder Tanten hatten, die die
Vormundschaft beantragt oder sogar schon übertragen bekommen hatten. Ebenso betrieb
29

vgl. Pelzer in: Asylmagazin 2012, 102 [106], abrufbar unter: http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asy lmagazin/Beitraege_AM_2012/AM2012-4BeitragMareiPelzer.pdf. 30
Siehe Tabelle 8a und 8b im Anhang.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

das Bundesamt die Abschiebung von Eltern, die leibliche Kinder in Deutschland haben.31 Begründet wurde dies entweder mit dem „falschen Aufenthaltsstatus“ des Kindes (der nicht von Art. 7 oder 8 erfasst wird, wie im Falle eines subsidiär schutzberechtigten Kindes) bzw. mit der restriktiven Auslegung von Art. 2 i) D-II-VO.
Das Bundesamt geht davon aus, dass eine Person, die als Vormund i.S.d. Art. 2 i) gilt, diese
Vormundschaft schon im Herkunftsland innegehabt haben muss.

Es dauert viele Monate, bis Deutschland Italien um Übernahme ersucht. Mittlerweile hat Herr
Geddi in Deutschland nach religiösem Ritus geheiratet. Seine Frau und er leben zusammen und erwarten ein Kind. Dennoch versucht das Bundesamt, Herrn Geddi nach Italien abzuschieben und bleibt auch dabei, als das Kind auf der Welt ist. Ein Gericht setzt seine Abschiebung vorläufig aus und erst 13 Monate später erklärt sich das
Bundesamt bereit, den Selbsteintritt auszuüben, um die junge Familie nicht zu trennen.

Es genügt also nicht, dass beispielsweise zwei
Brüder im Herkunftsland in Familiengemeinschaft gelebt haben und einer für den anderen in Deutschland die Vormundschaft übernimmt.
Ist für den Minderjährigen laut Art. 6 S. 2
D-II-VO ein anderer MS zuständig, betreibt das
Bundesamt in aller Regel dessen Abschiebung, weil zwar die Geschwisterbeziehung, nicht aber die Vormundschaft im Herkunftsland bestanden hat. Es verweist in solchen Fällen auf die Möglichkeit, nach der Abschiebung ein Visumsverfahren zur Familienzusammenführung zu betreiben.

Mit einem besonders dramatischen Fall einer drohenden Familientrennung beschäftigte sich der EGMR im Oktober 2011 (Az. 64208/11):

Der 15jährige Wahid flüchtet aus Afghanistan nach Europa. Sein Ziel ist Deutschland, wo sein
Bruder seit einigen Jahren lebt, ihm wurde dort der subsidiäre Schutz zuerkannt. In Ungarn wird
Wahid von der Polizei aufgegriffen und gegen seinen Willen als Asylantragsteller registriert.
Nach zwei Wochen verlässt er das Kinderheim, in dem er untergebracht wird und schlägt sich nach Deutschland durch. Sein Bruder beantragt die Vormundschaft und sucht nach einer größeren Wohnung, um ihn bei sich aufnehmen zu können. Dennoch lehnt das Bundesamt in Wahids Verfahren den Selbsteintritt ab und versucht, ihn nach Ungarn abzuschieben. Die Beziehung zwischen den Brüdern sei nicht schützenswert.
Herr Geddi flüchtet aus Somalia nach Europa. In
Italien beantragt er Asyl, wird aber nach wenigen Monaten auf die Straße gesetzt. Als er das
Leben in Obdachlosigkeit und Armut nicht mehr erträgt, flüchtet er weiter nach Deutschland.

Ein syrisches Ehepaar mit fünf Kindern im Alter von zwei bis elf Jahren reist über Italien nach
Deutschland ein. Hier wird die Familie dann auseinandergerissen und der Vater einem anderen
Bundesland zugewiesen als seine Ehefrau und die Kinder. Aufgrund der Eurodactreffer leitet das Bundesamt ein Dublinverfahren ein und versucht nach der Zustimmung Italiens, die Eltern und Kinder gemeinsam abzuschieben. Die
Eltern wenden sich jeweils an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht. Das für die Mutter und
Kinder zuständige Gericht untersagt die Abschiebung zunächst im Eilverfahren und begründet dies mit den drohenden Rechtsverletzungen durch die Mängel im italienischen Asyl- und
Aufnahmesystem. Der Vater jedoch scheitert vor dem für ihn zuständigen Gericht. Obwohl Bundesamt und Ausländerbehörde klar ist, dass eine
Abschiebung des Vaters zu einer Trennung der
Familie führen würde, wird ein Flugtermin angesetzt und der Vater kann sich nur durch Untertauchen der Verhaftung entziehen. Auch nachdem das für die Mutter zuständige Gericht deren
Abschiebung im Hauptsacheverfahren untersagt und das Bundesamt zum Selbsteintritt verpflichtet, betreibt das Bundesamt weiter die Abschiebung des Vaters. Das für ihn zuständige Gericht lehnt einen weiteren Eilantrag ab, ebenso das
Bundesverfassungsgericht. Die Familie müsse ja nicht getrennt werden, es stehe der Mutter frei, sich mit den Kindern ebenfalls nach Italien zu begeben. Erst eine einstweilige Anordnung des
EGMR stoppt die Trennung der Familie.32

31

In der Rechtsprechungsübersicht sind mehrere Gerichtsbeschlüsse zu finden, in denen die Abschiebung einer solchen Person untersagt wird.

32

Entscheidung des EGMR vom 19.10.2011

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

3.1.4. Regionale Unterschiede bei der Umsetzung der Dublin-II-VO
Das Dublinverfahren wird von einer Bundesbehörde in zwei zentralen Referaten durchgeführt, so dass sich keine Unterschiede in der Behandlung von Verfahren aus unterschiedlichen Bundesländern bzw. Regionen ergeben sollten. In der Praxis kommt es dennoch zu großen Abweichungen:

unterstellt. So ist beispielsweise möglich, dass in mittlerweile vier Bundesländern die DublinBescheide mindestens eine Woche vor der Abschiebung zustellt werden, in allen anderen
Bundesländern aber – von regionalen Ausnahmen abgesehen – die Zustellung erst am Tag der
Abschiebung erfolgt.

Das liegt zum Beispiel daran, dass zwar das Dublinverfahren selbst in den zentralen Referaten gesteuert wird, aber beispielsweise die Anhörungen in den über alle Bundesländer verteilten
Außenstellen des Bundesamtes durchgeführt werden. Die Anhörungspraxis und die Dauer der
Verfahren sind in diesen Außenstellen keineswegs einheitlich, teilweise nicht einmal innerhalb einer Außenstelle.

Schließlich obliegt auch die Inobhutnahme der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge den
Ländern. Zwar regelt ein Bundesgesetz, das
Sozialgesetzbuch VIII, dass alle UMF „in Obhut zu nehmen“ sind. Was darunter zu verstehen ist
– die Unterbringung in einer speziellen Jugendhilfeeinrichtung samt intensiver pädagogischer und rechtlicher Betreuung oder die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber zusammen mit Erwachsenen – wird aber je nach Bundesland sehr unterschiedlich ausgelegt.

Weitere regionale Unterschiede entstehen dadurch, dass die Abschiebungen von den lokalen oder regionalen Ausländerbehörden geplant und durchgeführt werden, denn das Bundesamt selbst verfügt über keine Vollzugskräfte. Die für den Vollzug zuständigen Ausländerbehörden sind den Innenministerien der Bundesländer

Es versteht sich von selbst, dass ein Jugendlicher, der in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt und von Betreuern und einem Rechtsanwalt begleitet wird, ganz andere Möglichkeiten hinsichtlich der Gestaltung seines Dublinverfahrens hat als ein Gleichaltriger, der weitgehend unbetreut in einer Unterkunft für Erwachsene lebt.

vgl. dazu das Statement of Facts, abrufbar unter: www.asyl.net/fileadmin/user_upload/redaktion/Dokumen te/19126.pdf.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

3.2 Die Anwendung der Ermessensklauseln
3.2.1.Selbsteintrittsrecht und Humanitäre
Klausel

in Berufung. So wurde beispielsweise bis zum
Januar 2011 kein einziges Urteil, das Deutschland zum Selbsteintritt gegenüber Griechenland verpflichtete, rechtskräftig.
-

33

34


-

Verpflichtet ein Gericht das Bundesamt zum
Selbsteintritt, geht das Bundesamt regelmäßig
33

Schriftliche Auskunft des BAMF gegenüber der NGO Pro
Asyl im März 2012.
34
Darüber hinaus hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, eine gewisse Zahl von Personen, denen in Malta bereits subsidiärer Schutz gewährt wurde, im Rahmen eines Relocation-Programms aufzunehmen. Im Jahr 2010 wurden 100 Personen aufgenommen, 2011 waren es 153.
Ihnen wurde eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erteilt, ihr sozialrechtlicher Status ist in etwa mit dem subsidiär geschützter Personen vergleichbar.

In den Dublin-Bescheiden taucht - gleich, um welchen Mitgliedsstaat es geht - regelmäßig der
Textbaustein „außergewöhnliche humanitäre
Gründe, die der Abschiebung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich“ auf. Die Formulierung suggeriert, dass tatsächlich jeder Einzelfall unter diesem Gesichtspunkt geprüft wird und dass tatsächlich auch in jedem Einzelfall die Chance auf einen Selbsteintritt besteht.
Diese Annahme liegt aber eher im Bereich des
Theoretischen, als dass sie einer signifikant bemerkbaren Praxis entspräche. Denn hält man sich vor Augen, dass diese Bescheide im Dublinreferat gefertigt werden und nicht in der Außenstelle, die zumindest bei der Asylantragstellung wenigstens einmal persönlichen Kontakt mit dem Betroffenen hat, stellt sich die Frage, wie das Bundesamt überhaupt zu der Überzeugung gelangen könnte, außergewöhnliche humanitäre Gründe lägen vor. Im Rahmen der
Anhörungen – so sie denn stattfinden – soll zwar theoretisch die Frage gestellt werden, welche Gründe gegen die Abschiebung in einen anderen Mitgliedsstaat sprechen.
Nach der praktischen Erfahrung der Autoren wird diese Frage in vielen Fällen entweder gar nicht gestellt oder den Betroffenen nicht die
Möglichkeit gegeben, sich umfassend zu äußern. Auch eine familiäre oder gesundheitliche
Situation oder eine Traumatisierung, die einen
Selbsteintritt begründen könnte, ist üblicherweise nicht Gegenstand der Anhörung. Den
Sachbearbeitern im Dublinreferat liegt nicht einmal in jedem Fall ein Protokoll der Anhörung vor. Bei Wiederaufnahmeverfahren, die durchgeführt werden, ohne dass ein Asylantrag in
Deutschland gestellt wurde, wird ohnehin keine
Anhörung durchgeführt. Da die Betroffenen auch nicht oder völlig unzureichend über das eingeleitete Verfahren informiert werden, haben viele Betroffene keine Gelegenheit, Gründe für einen Selbsteintritt vorzutragen.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

In Deutschland werden auch sogennante
Selbsteintritte gegen den Willen der Betroffenen praktiziert. Dies geschieht aus „verfahrensökonomischen“ Gründen, wenn eine Abschiebung ins Herkunftsland (im Anschluss an eine ablehnende materielle Entscheidung über den
Asylantrag) einfacher erscheint als eine Abschiebung in einen anderen Dublinstaat. Die
Bundesregierung erklärte 2010, sie setze sich dafür ein, dass der Selbsteintritt auch in der
Neufassung der D-II-VO nicht von der Zustimmung des Betroffenen abhängig gemacht werde, „da dies den Mitgliedsstaaten den weitesten
Entscheidungsspielraum einräumt.“35 Wie viele
Selbsteintritte gegen den Willen des Betroffenen stattfinden, wird nicht erfasst.

3.2.2. Aufnahmebedingungen im zuständigen
Mitgliedsstaat
Betrachtet man die Haltung des Bundesamtes zur Frage der Aufnahmebedingungen in den anderen Dublinstaaten, sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
Die eine Konstellation betrifft den Fall, dass der
Betroffene noch ein Asylsuchender ist, dessen
Verfahren im zuständigen Mitgliedsstaat noch nicht einmal begonnen oder zumindest noch nicht abgeschlossen ist. In diesem Fall bestreitet das Bundesamt zwar nicht, dass verbindliche
Mindeststandards - z.B. aus der Aufnahmerichtlinie - eingehalten werden müssen. Das Bundesamt geht aber davon aus, dass in allen Dublinstaaten – mittlerweile mit der Ausnahme von
Griechenland - die Aufnahmebedingungen im
Einklang mit den europäischen Richtlinien stehen.
Dies wird mit dem sogenannten „Prinzip der normativen Vergewisserung“ bzw. dem wechselseitigen Vertrauen der Mitgliedsstaaten untereinander begründet, siehe dazu Abschnitt
3.5.1. Eine Erschütterung dieser Annahme lässt das Bundesamt praktisch nicht zu. Systemische
Mängel, die zu unmenschlicher und erniedrigender Behandlung i.S.d. Art. 4 EU-GRCh bzw.
Art. 3 EMRK führen, kann die Bundesregierung

daher weder in Italien noch in anderen Staaten wie z.B. Ungarn erkennen.
Die andere Konstellation betrifft den Fall, wenn der Betroffene im zuständigen Staat bereits subsidiären Schutz erhalten hat oder sein Asylverfahren in jeder Hinsicht negativ abgeschlossen wurde. In dieser Konstellation steht das
Bundesamt bereits auf dem Standpunkt, dass
Fragen der sozialen Absicherung letztlich keine
Rolle mehr spielten, weil sie in den EURichtlinien zum Flüchtlingsschutz nicht geregelt seien. Für subsidiär Schutzberechtigte reiche eine reine „Inländergleichbehandlung“, wie es in der Qualifikationsrichtlinie niedergelegt sei und wie sie die Genfer Flüchtlingskonvention für anerkannte Flüchtlinge fordere.
Garantiere ein Staat auch nicht allen eigenen
Staatsangehörigen das Existenzminimum, so dürfe auch ein subsidiär Schutzberechtigter z.B. nicht mit der drohenden Verelendung nach einer Abschiebung argumentieren (was z.Zt. besonders häufig bzgl. Ungarns, Italiens und
Maltas vorgetragen wird). Fragen des Selbsteintrittes dürften, so das Bundesamt, nicht mit einer Debatte über soziale Standards in der EU vermischt werden.
Im Folgenden soll die Diskussion über Abschiebungen nach Griechenland, Italien, Ungarn und
Malta vorgestellt werden.
Griechenland
Die Bundesregierung erklärte gegenüber dem
Bundestag im November 2007 mit Blick auf Berichte der deutschen Nichtregierungsorganisation Pro Asyl zur Situation von Asylsuchenden in
Griechenland:
„Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, Überstellungen von Asylbewerbern nach Griechenland (…) auszusetzen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass aus Deutschland überstellte
Asylbewerber in Griechenland entsprechend den
Regelungen des europäischen Asylrechts und des internationalen Rechts behandelt werden; gegenteilige Erkenntnisse liegen nicht vor.“36
36

35

Bundestags-Drucksache 17/2554 vom 09.07.2010, dort
S. 3, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/ dip21/btd/17/026/1702655.pdf. Bundestags-Drucksache 16/7216 vom 16. 11. 2007, dort
S. 14, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/ dip21/btd/16/072/1607216.pdf. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

An dieser Position hielt die Regierung bis zum
Januar 2011 fest, obwohl seit April 2008 immer mehr Verwaltungsgerichte Abschiebungen nach
Griechenland im Eilverfahren untersagten. Sie räumte im Januar 2009 lediglich ein, dass es
„in Einzelfällen Schwierigkeiten etwa bei der
Bereitstellung ausreichender Kapazitäten geben kann, die im Einzelfall gegenüber den betroffenen Asylbewerbern zu persönlichen Härten und erheblichen Schwierigkeiten führen können.“37
Letztlich beharrte sie aber darauf, dass die Zuständigkeit für die Feststellung von Richtlinienverstößen bei der EU-Kommission und beim
EuGH liege. Als einziges Zugeständnis wurde ab
Sommer 2008 von der Abschiebung besonders
Schutzbedürftiger nach Griechenland abgesehen (siehe Abschnitt 3.4.1.).
Ab September 2009 stoppte das Bundesverfassungsgericht sämtliche Abschiebungen nach
Griechenland, gegen die Verfassungsbeschwerde eingereicht wurde, im Wege der einstweiligen Anordnung. Die Bundesregierung schrieb diesen Aussetzungsentscheidungen des BVerfG jedoch ausdrücklich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Im Oktober 2010 kam es dann zur mündlichen Verhandlung einer der anhängigen Verfassungsbeschwerden, die
Abschiebungen nach Griechenland betrafen. Im
Rahmen der Verhandlung machte das Verfassungsgericht deutlich, große Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Griechenland-Abschiebungen zu haben. Noch bevor das
Gericht eine Entscheidung fällte, entzog die
Bundesregierung - wohl, um eine Niederlage in dem Gerichtsverfahren zu vermeiden - diesem die Grundlage und erklärte, bis Januar 2012 ganz auf Abschiebungen nach Griechenland zu verzichten. Die Regelung, in Griechenlandverfahren den Selbsteintritt zu erklären, wurde mittlerweile bis Januar 2014 verlängert.
Italien
Etwa zur gleichen Zeit, in der die Bundesregierung ihre Haltung gegenüber Griechenlandabschiebungen radikal änderte, begannen immer mehr Verwaltungsgerichte, Abschiebungen nach
Italien im Eilverfahren auszusetzen. Zwischen
37

Bundestags-Drucksache 16/11543 vom 05. 01. 2009, dort S. 6, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/ dip21/btd/16/115/1611543.pdf. Januar und Dezember 2011 gewährten Gerichte in 113 Fällen Eilrechtsschutz gegen eine Abschiebung nach Italien, in 111 Fällen wurde der
Eilantrag abgelehnt. Gegen die wenigen bisher ergangenen Urteile, die das Bundesamt zum
Selbsteintritt verpflichteten, legte das Bundesamt Berufung ein. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher noch in keinem Fall eine Abschiebung noch Italien untersagt, auch nicht in einem drastischen Fall einer Familientrennung, der in Abschnitt 3.1.3. vorgestellt wurde.
Hinter der strikten Haltung der Bundesregierung lässt sich die Angst vor einem „Domino-Effekt“ vermuten. Griechenland soll die große Ausnahme im ansonsten voll funktionsfähigen DublinSystem sein. Die Bundesregierung erklärte zwar mehrfach gegenüber dem Bundestag, dass in
„besonderen Fällen“ das Selbsteintrittsrecht ausgeübt werde. Allerdings sind den Autoren mehrere Schutzsuchende von unzweifelhaft besonders hoher Schutzbedürftigen bekannt, die in Italien bereits der Verelendung ausgeliefert gewesen waren, in deren Verfahren sich das
Bundesamt aber weigerte, den Selbsteintritt auszuüben. Es stellt sich daher die Frage, was einen „besonderen Fall“ ausmachen muss, damit ein Selbsteintritt vorgenommen wird. (Siehe auch Abschnitt 3.4.1. zu besonders Schutzbedürftigen.)
Frau Abraha, die aus Eritrea geflüchtet ist, erreicht Italien im Jahr 2005 mit einem Boot. Sie hat ihre vier Kinder bei sich, die jüngste Tochter ist geistig behindert. Die Familie wird zunächst in einem Flüchtlingslager untergebracht und erhält eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
Doch nach eineinhalb Jahren teilt man ihr mit, die Zeit sei abgelaufen, die sie maximal in einer staatlichen Unterkunft verbringen könne, sie müsse von nun an für sich selbst sorgen. Frau
Abraha bemüht sich nach Kräften, Arbeit zu finden, aber es gelingt ihr nicht. Verzweifelt kämpft sie mit ihren Kindern ums Überleben. Sie schlafen in Parks und auf der Straße, leiden
Hunger und müssen betteln. Das behinderte
Kind wird nie mehr von einem Arzt untersucht, es gibt keinen Kindergarten und keine Schule für sei. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Die älteren Kinder lernen in einer Kirche etwas lesen und schreiben – wie sollen sie in eine Schule gehen, wenn sie nachts im Regen schlafen, vor Betrunkenen Angreifern flüchten müssen, kein Frühstück haben und weder saubere Kleidung noch Schulhefte, fragen sie. Die Familie sucht Zuflucht in der Schweiz, wird aber von dort wieder abgeschoben, zurück auf die Straße in
Italien. Nach fünf Jahren als Obdachlose in Italien flüchten sie schließlich nach Deutschland und schildern dem Bundesamt ihre Not. Briefe von Ärzten und Lehrern belegen, wie dringend die Kinder eine sichere Umgebung, ärztliche
Versorgung und schulische Förderung benötigen. Das Bundesamt lehnt den Antrag auf
Selbsteintritt ab.
Die Einschätzung der Lebensbedingungen in
Italien seitens der Bundesregierung und des
Bundesamtes lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:38
Der Zugang zum Asylsystem in Italien sei garantiert, die Versorgung während des Asylverfahrens entspreche der Aufnahmerichtlinie, es stünden genügend Unterbringungsplätze zur
Verfügung. Das Asylverfahren sei nicht zu beanstanden. Schutzberechtigte hätten den gleichen
Zugang zu Sozialleistungen wie italienische
Staatsangehörige, insbesondere kostenlosen
Zugang zu Gesundheitsversorgung. Viele wollten nicht in staatlichen Unterkünften leben und zögen ein Leben in besetzten Gebäuden und in
Hütten und Zelten auf Brachflächen vor. Keinesfalls sei die Situation in Italien mit der in Griechenland vergleichbar, und dass die Situation nicht so dramatisch sei, wie in den Berichten etwa der Schweizerischen Flüchtlingshilfe oder
Pro Asyl dargestellt, zeige sich darin, dass UNHCR keine Empfehlung abgegeben habe, auf
Abschiebungen nach Italien zu verzichten.

„schwerwiegende Bedenken bestehen, ob die
Praxis der Durchführung von Asylverfahren in
Italien den Kernanforderungen des EU-Rechts entspricht; in großen Teilen Italiens werden ferner die Mindestanforderungen für die Aufnahme von Flüchtlingen in der EU nicht erfüllt.“39
Auch das OVG NRW hielt Verstöße Italiens gegen die EU-Richtlinien zum Flüchtlingsschutz und letztlich die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung des Antragstellers für so wahrscheinlich, dass es eine Abschiebung im Eilverfahren untersagte.40 Wegen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem und der
„konkreten Gefahr, dass der Antragstellerin im
Falle ihrer Überstellung nach Italien eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht“, setzte das VG Frankfurt im Juni 2012 die Abschiebung nicht nur vorläufig aus, sondern verpflichtete das Bundesamt bereits im Eilverfahren zum Selbsteintritt.41 Andere Gerichte, wie
z.B. das VG Kassel, bejahen nur für besonders
Schutzbedürftige die Pflicht zum Selbsteintritt,
z.B. für eine alleinerziehende Mutter, die sich um ihr 11 Monate altes Kind kümmern müsse:
„Sie ist damit im Gegensatz zu anderen Asylbewerbern, die allein die eigene Existenz sichern müssen, deutlich im Nachteil. [Das Kind] benötigt ständige Betreuung, so dass die Antragstellerin keine Möglichkeit hat, Zeit für notwendige
Behördengänge, Anstehen an Lebensmittelausgaben etc. zu erübrigen. [Der Richter geht] davon aus, dass nach derzeitiger Sachlage Italien für alleinerziehende Mütter mit Kleinkindern keinen ausreichenden Schutz und Versorgung zur Verfügung stellen kann …“42
39

Doch seit November 2010 setzen mehr und mehr Verwaltungsgerichte Abschiebungen nach
Italien aus. So setzte z.B. das VG Gießen am
16.3.2011 eine Abschiebung nach Italien aus, weil 38

Vgl. Bundestags-Drucksache 17/5579 vom 18.04.2011, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/ dip21/btd/17/055/1705579.pdf, sowie Entscheiderbrief des Bundesamtes 7/2011, dort S. 1ff., abrufbar unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikation en/Entscheiderbrief/2011/entscheiderbrief-072011.pdf?__blob=publicationFile.

VG Gießen, Beschluss vom 16.3.2011, Az. 1 L
198/11.GI.A, abrufbar unter http://www.asyl.net/ fileadmin/user_upload/dokumente/18358.pdf. 40
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1.3.2012, Az.
1 B 234/12.A.
41
VG Frankfurt, Beschluss vom 11.6.2012, Az. 1 L
1994/12.F.A., abrufbar unter http://www.asyl.net/file admin/user_upload/dokumente/19767.pdf. Auch das VG
Karlsruhe untersagte im März 2012 eine Abschiebung nach
Italien wegen systemischer Mängel im Asyl- und Aufnahmesystem Italiens endgültig. VG Karlsruhe, Urteil vom
6.3.2012, Az. A 3 K 3069/11, abrufbar unter www.asyl.net/ fileadmin/user_upload/dokumente/19572.pdf. 42
VG Kassel, Beschluss vom 10.10.2012, Az. 1 L
1210/12.KS.A .

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Zu der möglicherweise politisch motivierten
Zurückhaltung, den Selbsteintritt gegenüber
Italien auszuüben, fand das VG Magdeburg deutliche Worte:

Gefahr ausgesetzt sei, im Falle einer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4
GRCh ausgesetzt zu werden.45

„Das Gericht ist sich bewusst, dass mit seiner
Entscheidung ein weiteres EU-Land als Aufnahmeland für Asylbewerber wegfällt, was zu
Mehrbelastungen der übrigen EU-Länder führt, eine Lage, die ohne Zweifel tatsächlich misslich ist. Es gibt indes keinen Rechtssatz, nach dem
"nicht sein kann, was nicht sein darf"; tatsächlich bestehende Probleme sind zu benennen und dann politisch zu lösen.“43

Malta

Laut Auskunft des Bundesamtes gab es zwischen Januar 2011 und Mai 2012 174 Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte, die
Abschiebungen nach Italien aussetzten bzw. das
Bundesamt zum Selbsteintritt verpflichteten, in etwa der gleichen Zahl der Fälle erklärten die
Gerichte die Abschiebungen allerdings für zulässig.
Ungarn
Auf die zahlreichen - inzwischen auch sehr pointiert von UNHCR vorgetragenen - Kritikpunkte am ungarischen Asyl- und Aufnahmesystem hat die Bundesregierung in gleicher Weise reagiert wie schon in Bezug auf Italien: Das Vorliegen systemischer Mängel wird verneint und mitgeteilt, dass allenfalls - wie in Bezug auf jeden anderen Dublin-Zielstaat - die Umstände des konkreten Einzelfalls gegebenenfalls zu einem
Absehen von der Abschiebung führen könnten.44
Zu Ungarn liegen, allein wegen der, im Vergleich zu Italien, wesentlich geringeren Zahl von Dublinverfahren deutlich weniger Entscheidungen von Verwaltungsgerichten vor. Doch auch bezüglich Ungarns sprechen einige Gerichte von
„systemischen Mängeln“. Das VG Stuttgart untersagte im April 2012 eine Abschiebung nach
Ungarn, weil der Antragsteller der tatsächlichen
43

VG Magdeburg, Urteil vom 26.7.2011, Az. 9 A 346/10
MD, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/ user_upload/dokumente/19125.pdf. 44
Bundestags-Drucksachen 17/8836 vom 2.3.2012 und
17/9479 vom 30.4.2012, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/088/1708836.pdf bzw. unter: http://dipbt.bundestag.de/ dip21/btd/17/094/1709479.pdf. Bezüglich Maltas hat sich die Bundesregierung zu einer Strategie entschieden, die für viele aber nicht alle - der Betroffenen erfreulich ist.
Es wird in Anerkennung der Überforderung des kleinen Inselstaates und der extrem schwierigen
Lebensbedingungen von Schutzsuchenden auf
Malta eine Strategie verfolgt, die zwischen dem strikten Festhalten an Abschiebungen (wie bei
Italien und Ungarn) und dem vollständigen Verzicht auf Abschiebungen (wie im Falle Griechenlands) liegt:
Einerseits werden keine besonders schutzbedürftigen Personen nach Malta abgeschoben,
d.h., bei ihnen wird der Selbsteintritt erklärt.
Andererseits werden nicht als besonders schutzbedürftig angesehene Personen meist erst gegen Ende der maximalen Überstellungsfrist nach Malta abgeschoben, und gleichzeitig nimmt Deutschland auch im Rahmen eines Relocation-Programmes Flüchtlinge aus Malta auf
(2010 waren es ca. 100 Personen, 2011 153).
So positiv diese Aspekte sind, es darf nicht übersehen werden, dass letztlich mit großer Vehemenz an Abschiebungen nach Malta festgehalten wird46 und dass z.B. den Flüchtlingen, die aus Malta aufgenommen werden, durch restriktive Regelungen zum Familiennachzug letztlich sehr wesentliche Verheißungen des Flüchtlingsschutzes vorenthalten bleiben.
Verwaltungsgerichte sprechen auch bezüglich
Maltas inzwischen von systemischen Mängeln.
45

VG Stuttgart, Beschluss vom 2.4.2012, Az. A 11 K
1039/12, abrufbar unter http://www.asyl.net/ fileadmin/user_upload/dokumente/19615.pdf. Die NGO bordermonitoring.eu stellt auf der Seite http://bordermonitoring.eu/category/ungarn/ aktuelle
Berichte zur Situation in Ungarn sowie eine Rechtsprechungsübersicht zur Verfügung.
46
Zur Haltung bzgl. Maltas vgl. im Detail Antwort der Bundesregierung vom 5.9.2011 auf eine schriftliche Anfrage, abrufbar unter: http://www.proasyl.de/ fileadmin/proasyl/fm_redakteure/Newsletter_ Anhaenge/175/Antwort_Schriftliche_Fr agenMaltaFluechtlingsaufnahme.pdf.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

So kam das VG Magdeburg im Mai 2012 zu dem
Schluss:
„In Malta bestehen auch für Dublin-Rückkehrer systemische Mängel des Asylsystems, dass im
Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2011 der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer erniedrigenden Behandlung im
Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu sein.“47

Das VG Regensburg hatte kurz zuvor das Bundesamt zum Selbsteintritt verpflichtet, u.a. mit dem Argument, ein
„Bescheid zur Rücküberstellung im Dublin IIVerfahren nach Malta, der sich nicht ernsthaft mit Berichten internationaler Nichtregierungsorganisationen und Stellungnahmen einer Institution der EG auseinandersetzt, ist ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.“48

47

VG Magdeburg, Urteil vom 16.5.2012, Az. 5 A 328/11
MD, abrufbar unter http://www.asyl.net/index.php?id=185&tx_ttnews[tt_new s]=45578&cHash=6fc3ed77c0c456b2d809dcd41c50bcd3.

48

VG Regensburg, Urteil vom 7.3.2012, Az. RO 7 K
11.30393, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/ 19448.pdf.

3.3. Fristen und Wiedereinreisesperren
3.3.1. Fristen

Häufig ist zu beobachten, dass Dublinverfahren viele Monate dauern. Die Sachbearbeiter begründen dies mit der starken Arbeitsbelastung.
Da Wiederaufnahmeersuchen nicht fristgebunden sind, werden diese gegenüber den Aufnahmeersuchen nachrangig bearbeitet und damit oft erst viele Monate nach der Asylantragstellung.49
Den Autoren sind Fälle bekannt, in denen weit über ein Jahr verstrich, bis eine Anfrage an den möglicherweise zuständigen Mitgliedsstaat gerichtet wurde. Das Verwaltungsgericht Hamburg setzte im April 2011 eine Abschiebung nach
Ungarn aus und begründete dies mit der überlangen Verfahrensdauer: „Wenn das BAMF nach der Anhörung acht Monate lang keinerlei Maßnahmen zur Vorbereitung eines Aufnahmeoder Wiederaufnahmeersuchens getroffen hat, kommt darin hinreichend deutlich der Wille zur
Durchführung des Asylverfahrens, d.h. eines
Selbsteintritts, zum Ausdruck.“50
49

Zur Dauer der Dublinverfahren bzw. zur Aufenthaltsdauer der Betroffenen in Deutschland werden keine Daten erhoben, vgl. Drucksache des Deutschen Bundestages
17/2554 vom 09. 07. 2010, dort S. 4, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/026/ 1702655.pdf.
50
VG Hamburg, Beschluss vom 11.4.2011, Az. 19 AE
173/11, dort S. 7, abrufbar unter http://www.asyl.net/ fileadmin/user_upload/dokumente/18463.pdf. b) Folgenlosigkeit von Verstößen gegen die
Fristvorgaben der Verordnung
Es ist als weiteres Phänomen immer wieder zu beobachten, dass die - eigentlich fristgebundenen - Aufnahmeersuchen mehr als drei Monate nach Asylantragstellung abgesandt werden und dann – obwohl eine Asylantragstellung im angefragten Mitgliedsstaat gerade nicht erwiesen ist
– vom Dublinreferat als Wiederaufnahmeersuchen deklariert werden; nach zwei Wochen wird dann der Zuständigkeitsübergang auf den angefragten Staat erklärt.
Schließlich werden auch in Remonstrationsverfahren die Fristen des Art. 5 Abs. 2 DVO nach
Erfahrung der Autoren nicht immer eingehalten.
Es ist in Anbetracht der beiden letztgenannten
Phänomene davon auszugehen, dass ein Teil der
Dublin-Abschiebungen Fallkonstellationen betrifft, in denen Deutschland in Ansehung der in der Verordnung vorgesehenen Fristen eigentlich zuständig gewesen wäre.
Für den Fall, dass eine Abschiebung nicht innerhalb der Frist durchgeführt werden kann, erklärt sich das deutsche Dublinreferat in der Regel rasch bereit, den Asylantrag im nationalen Verfahren zu prüfen. In Einzelfällen wurde allerdings auch von Abschiebungen nach Ablauf der
Überstellungsfrist berichtet.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

In Hessen versuchte die Polizei im Juli 2012 sogar einen unbegleiteten Minderjährigen nach
Ablauf der Überstellungsfrist in einem Kinderheim festzunehmen.51
c) Feststellung des „Untertauchens“
Gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 2 bzw. Art. 20 Abs. 2
S. 2 D-II-VO kann die Überstellungsfrist auf bis zu 18 Monate verlängert werden, wenn der
Asylbewerber flüchtig ist. Der Wortlaut „kann“ und „höchstens“ spricht dafür, dass das Bundesamt in diesem Zusammenhang einen Ermessensspielraum hat. Dennoch fällt die Entscheidung des Bundesamtes über das „Ob“ und „Wie lange“ der Fristverlängerung in der Praxis immer gleich aus: Die Frist wird immer auf 18 Monate verlängert, wenn ein „Flüchtig-Sein“ angenommen wird.
Das VG Braunschweig hat dies kritisiert und festgestellt, dass Art. 20 Abs. 2 Satz 2 D-II-VO eine ausdrückliche Ermessensentscheidung über die Frage der Fristverlängerung und deren Dauer verlange; eine bloße, an den anderen Mitgliedsstaat gerichtete Mitteilung, der Transfer sei storniert worden, weil der Antragsteller untergetaucht sei, sei daher nicht ausreichend, um eine Fristverlängerung auf 18 Monate herbeizuführen.52

51

Der Jugendliche wurde von der Polizei nicht angetroffen und traute sich nach diesem Vorfall nicht mehr in das
Kinderheim zurück. Er wurde zur Fahndung ausgeschrieben, die Ausländerbehörde beantragte Abschiebungshaft.
Bei Redaktionsschluss war sein Verbleib in Deutschland noch nicht gesichert – trotz nach Aktenlage eindeutig abgelaufener Überstellungsfrist.
52
VG Braunschweig, Beschluss vom 09.08.2011, Az. 2 B
196/11, dort S. 3, abrufbar unter: www.asyl.net/fileadmin/ user_upload/dokumente/18899.pdf. Darin heißt es: „Das
Bundesamt hatte Schweden zwar noch vor Ablauf der regulären Überstellungsfrist von sechs Monaten (…) jeweils mitgeteilt, dass der vorgesehene Transfer nicht habe durchgeführt werden können, weil der Antragsteller untergetaucht sei. Eine Verlängerung der Überstellungsfrist
(…) erfordert entsprechend dem Wortlaut der Norm eine ausdrückliche Entscheidung der zuständigen Behörde, der insoweit ermessen sowohl hinsichtlich der Frage, ob die
Frist überhaupt verlängert werden soll, als auch hinsichtlich der Dauer der Verlängerung innerhalb des Höchstmaßes von 18 Monaten eingeräumt ist (…) Die bloße an
Schweden gerichtete Mitteilung, der Transfer sei storniert worden, weil der Antragsteller untergetaucht sei, enthält eine Ermessensausübung über die Frage der Fristverlängerung sowie deren Dauer nicht und dürfte daher nicht ausreichend sein.“

Problematisch ist in der Praxis auch die Definition bzw. die Feststellung des Flüchtig-Seins. Das
BAMF erhält die Information, dass die abzuschiebende Person nicht anzutreffen war, in aller Regel von der zuständigen Ausländerbehörde oder der Polizei. Die Ausländerbehörde wiederum stützt sich entweder auf eigene Erkenntnisse, auf die der Polizei oder auch beispielsweise des Betreibers einer Flüchtlingsunterkunft. In großen Unterkünften, die nicht vollständig durchsucht werden können, kann es schon aufgrund des bloßen Umstandes, dass sich eine Person nicht in ihrem Zimmer, sondern in einem anderen Zimmer aufhält, ausreichen, damit ein „Flüchtig-Sein“ angenommen wird.
Dabei muss man sich vor Augen halten, dass in
Deutschland die betroffene Person – anders als in anderen Dublin-Staaten – in aller Regel nichts von der geplanten Abschiebung weiß. Zwar ist die Bewegungsfreiheit für Asylsuchende in
Deutschland eingeschränkt, und zwar in der
Regel auf das Gebiet eines Landkreises oder eines Bundeslandes. Es besteht jedoch keine
Pflicht für Asylsuchende, sich 24 Stunden in ihrem Zimmer in ihrer Unterkunft aufzuhalten.
In der Praxis entbehren viele Mitteilungen
Deutschlands an andere Mitgliedsstaaten, die
Person sei „flüchtig“, jeder Grundlage. Den Autoren sind Fälle bekannt, in denen sich ein Betroffener lediglich im Nebengebäude aufgehalten hatte oder in denen die Verwaltung einer
Flüchtlingsunterkunft der Ausländerbehörde mitgeteilt hatte, er sei seit Tagen nicht in seinem Zimmer gewesen und deshalb „flüchtig“.
Herr Tewelde soll im November 2010 nach Italien abgeschoben werden. Der Flug wird kurzfristig wegen schlechten Wetters abgesagt. Er kehrt daraufhin in seine Unterkunft zurück, in der mehrere hundert Personen leben. Wenig später erklärt ihn die Ausländerbehörde für untergetaucht und das BAMF verlängert die
Überstellungsfrist auf 18 Monate. Zur Begründung wird gegenüber der Anwältin angeführt, es habe zwei weitere Abschiebetermine gegeben, an beiden Tagen sei er von der Polizei nicht angetroffen worden. Diese Termine waren ihm allerdings nicht angekündigt worden, so dass er nicht wissen konnte, wann die Polizei nach ihm suchen würde. Er hielt sich, was anhand der täglichen Anwesenheitskontrollen bei der Essensausgabe in der Unterkunft schriftlich nachweisbar war, täglich dort auf.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Eine aktuell sehr kontrovers diskutierte Frage ist, ob in Fällen von “offenem Kirchenasyl” ein
„Flüchtig-Sein“ vorliegt.53 Nimmt eine Kirchengemeinde einen Asylsuchenden in ihre Räume auf und teilt dies umgehend der Ausländerbehörde mit, spricht man von einem offenen Kirchenasyl.54 Das besondere an Fällen des Kirchenasyls ist, dass die Polizei in Deutschland in aller Regel darauf verzichtet, in kirchliche Räume einzudringen und Menschen von dort gewaltsam zu entfernen. Gesetzlich verboten wären solche Einsätze nicht, die Behörden verzichten aber meist aus Respekt vor kirchlichen
Räumen darauf. Noch im Oktober 2010 stellte der Vertreter des Dortmunder Dublinreferates auf einer Tagung in Berlin eindeutig klar, dass ein offenes Kirchenasyl kein Grund sei, ein
„Flüchtig-Sein“ anzunehmen und die Überstellungsfrist entsprechend zu verlängern. Inzwischen sind der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche55 allerdings mehrere Fälle bekannt, in denen das Bundesamt trotz umgehender
Mitteilung an die Behörde wegen des Kirchenasyls die Frist auf 18 Monate verlängert hat.
3.3.2. Keine „freiwillige Ausreise“ gem. D-IIDVO, Wiedereinreissperre nach Abschiebung
Wird ein Asylantrag im nationalen Asylverfahren als unbegründet oder offensichtlich unbegründet abgelehnt, wird dem Betroffenen eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt und die Abschiebung zunächst nur angedroht. Bei DublinBescheiden, also der Ablehnung als unzulässig, wird dagegen keine Frist zu freiwilligen Ausreise eingeräumt und die Abschiebung wird nicht angedroht, sondern angeordnet und kann unmittelbar vollzogen werden (§ 34a AsylVfG)
Eine solche Vorschrift gibt es im deutschen Aufenthaltsrecht nur an einer einzigen weiteren
Stelle, § 58a AufenthG, sie betrifft die Abschiebung von “Hasspredigern” und Terroristen.
(Ihnen wird im Unterschied zu den Dublin53

Zum Begriff des Kirchenasyls siehe www.kirchenasyl.de, zu Kirchenasyl speziell in Dublinfällen siehe http://www.kirchenasyl.de/1_start/Kasten%20Aktuelles/ Dublin%20II%20und%20Kirchenasyl.pdf.
54
In Fällen von „verdecktem Kirchenasyl“, in denen eine
Gemeinde einem Menschen Zuflucht bietet, ohne dies den
Behörden mitzuteilen, ihn also mit anderen Worten „versteckt“, dürfte die Voraussetzung des „Flüchtig-Seins“ dagegen unstreitig erfüllt sein.
55
www.kirchenasyl.de.

Betroffenen allerdings noch die Möglichkeit eingeräumt, Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, zum Eilrechtsausschluss in Dublinverfahren siehe Abschnitt 3.5.1.)
Selbst diejenigen Asylsuchenden, die mit einer
Weiter- oder Rückreise in den zuständigen Staat einverstanden wären oder zumindest die freiwillige Ausreise einer erzwungenen Abschiebung vorziehen würden, haben keine Möglichkeit, sich auf eigene Initiative in diesen Staat zu begeben. Der Leiter des Dublinreferates in Dortmund erklärte dazu auf einer öffentlichen Veranstaltung im Oktober 2009, freiwillige Ausreisen lehne das Bundesamt kategorisch ab, weil die
Gefahr des Untertauchens – und damit der nach
18 Monaten eintretenden Zuständigkeit
Deutschlands – zu groß sei. Gebe man den Betroffenen die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise, kündige man damit implizit an, dass sie im
Falle einer Weigerung abgeschoben würden.
Damit schaffe man Anreize zum Untertauchen, was das Bundesamt auf jeden Fall vermeiden wolle. Eine Abschiebung führt regelmäßig gemäß § 11
AufenthG zu einer zunächst unbefristeten Sperre der Wiedereinreise. Problematisch ist dies
z.B. für Personen, die gem. D-II-VO aus Deutschland abgeschoben werden und später zum Zwecke der Heirat oder aus anderen Gründen wieder nach Deutschland einreisen möchten und dafür ein Visumsverfahren betreiben.
Die Wiedereinreisesperre kann zwar nachträglich auf Antrag befristet werden. Abgesehen davon, dass dies erst nach einer gewissen Zeit möglich ist, müssen aber die Kosten der Abschiebung regelmäßig vor der Wiedereinreise der Ausländerbehörde erstattet werden. Hierzu gehören neben den Flugkosten und Kosten der
Polizei ggf. nicht unerheblichen Haftkosten.
Nicht erst bei einer (versuchten) Wiedereinreise werden die Abgeschobenen mit Kostenforderungen konfrontiert. Einen besonders absurden
Fall dokumentierte Pro Asyl im Februar 2012:

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Im Oktober 2010 versuchte Frau K., eine staatenlose Kurdin aus Syrien, mit ihren drei Kindern auf der Flucht über Deutschland zu ihrem asylberechtigten Ehemann nach Dänemark zu gelangen. Die Bundespolizei auf dem Frankfurter
Flughafen nahm sie fest und leitete ein sogenanntes Dublin-Verfahren ein, obwohl Frau K.
Unterlagen zur Asylanerkennung ihres Ehemannes bei sich hatte. Die freiwillige Weiterreise blieb ihr verwehrt.
Zu guter Letzt verhängte das Amtsgericht Frankfurt auf Antrag der Bundespolizei auch noch förmlich Haft. 37 Tage saßen Mutter und Kinder in einem einzigen Raum der Transitunterkunft fest. Am 7.12.2010 endlich wurde die Familie nach Kopenhagen weitergeleitet, wohin sie all die Zeit weiterreisen wollte und heute mit
Flüchtlingsanerkennung lebt.

Ende gut – alles gut? Keineswegs. Frau K.‘s Anwältin erhielt Ende Februar 2012 einen Kostenbescheid. Für das ganze, völlig absurde – allerdings von allen angerufenen Gerichten für formell rechtmäßig gehaltene – Verfahren soll Frau
K. am Ende 16.347,76 Euro bezahlen, zahlbar innerhalb von 30 Tagen.
Allein für das gewiss nicht luxuriöse Zimmer in der Flughafenunterkunft im Transit werden ihr
13.071,19 Euro berechnet. Für täglich 339 Euro hätte man die Familie in einem Hotel gehobener
Klasse unterbringen können. 56
56

Der vollständige Text der Presseerklärung von Pro Asyl ist abrufbar unter http://www.proasyl.de/ de/presse/detail/news/noch_kein_fuss_in_deutschland_ schon_in_der_schuldenfalle/.

3.4 Besonders schutzbedürftige Personen im Dublinverfahren
3.4.1. Besonders Schutzbedürftige /
Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse

Im Sommer 2008 war bereits die Anweisung ergangen, keine besonders schutzbedürftigen
Asylsuchenden nach Griechenland abzuschieben.57 Seit Herbst 2009 gibt es eine entsprechende Praxis gegenüber Malta. Wer zu dieser
Gruppe gehört, definiert das Bundesinnenministerium allerdings nirgends verbindlich. Unstrittig ist, dass unbegleitete Minderjährige und
Schwangere dazugehören. Was Familien betrifft, ist die Anwendung dieses Kriteriums allerdings uneinheitlich – nach Griechenland wurden beispielsweise teilweise Familien mit 11jährigen
Kindern abgeschoben, in anderen Fällen wurde

57

Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 9.6.2008 an den Innenminister von Schleswig-Holstein, abrufbar unter: http://www.emhosting.de/kunden/fluechtlings ratnrw.de/system/upload/download_1498.pdf. aber wegen dieses Alters der Kinder der Selbsteintritt ausgeübt.
Nach Malta wurde im Jahr 2011 nach Auskunft des Bundesamtes eine minderjährige Person abgeschoben, ob sie unbegleitet war, wurde nicht mitgeteilt. Nirgends explizit aufgeführt sind alleinstehende Frauen, aber auch bei diesem Personenkreis wurde bzgl. Griechenlands hin und wieder das Selbsteintrittsrecht ausgeübt, ohne dass eine individuelle besondere Verletzlichkeit vorgetragen wurde. Wann eine
Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung oder ein hohes Alter „schwerwiegend“ genug sind, um das Bundesamt zum Selbsteintritt zu veranlassen, ist schwer abschätzbar.
Insbesondere gilt dies für Traumatisierte, obwohl Opfer von Folter und Gewalt in Art. 17
Abs. 1 der EU-Aufnahmerichtlinie eindeutig als besonders schutzbedürftig benannt sind.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

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Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

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Frau Ahmed leidet an einer schweren Nierenerkrankung. Ihr behandelnder Arzt spricht sich vehement gegen eine Abschiebung nach Italien aus. Als sie schwanger wird, verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand.
Der Sachbearbeiter im Dublinreferat vermerkt im August 2011 in der Akte, es werde von einer
Überstellung abgesehen, weil Reiseunfähigkeit bestehe. Die Frist laufe noch vor der Geburt ab, so dass eine Überstellung nicht möglich sei und über den Asylantrag im nationalen Verfahren entschieden werde. Der Sachbearbeiter teilt diese Entscheidung der Ausländerbehörde und dem Anwalt von Frau Ahmed mit.



Dennoch wird Frau Ahmed im September 2011 nachts von der Polizei festgenommen, und ihr wird mitgeteilt, dass sie nach Italien abgeschoben werde. Die Abschiebung muss letztlich aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden.

58

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58

Befürchtet ein schwer erkrankter Asylsuchender eine drastische Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im Heimatland, weil dort die nötigen Medikamente nicht zur Verfügung stehen, muss er diesen Umstand gegenüber dem Bundesamt geltend machen. Kann er dagegen nach einem negativ beschiedenen Asylverfahren nur vortragen, dass er z.B. nach einer Operation für einige Wochen reiseunfähig ist, ist die Ausländerbehörde für die Prüfung zuständig, ob und wie lange eine geplante Abschiebung ausgesetzt wird.

Im Nachhinein stellt sich heraus, dass ein anderer Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde den
Flug gebucht und das BAMF auch entsprechend vorab informiert hatte, der dortige Sachbearbeiter sich aber nicht an seine – Frau Ahmed bereits mitgeteilte - Entscheidung gebunden fühlte, auf die Abschiebung zu verzichten.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

3.4.2. Unbegleitete Minderjährige
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Das deutsche Aufenthaltsgesetz und Asylverfahrensgesetz erklären Ausländer bereits ab Vollendung des 16. Lebensjahres für „verfahrensfähig“, d.h. sie werden von Ausländerbehörden und dem Bundesamt als Erwachsene behandelt.59 Auf der Ebene der Verwaltungsvorschriften bzw. Dienstanweisungen werden diese - in
Europa praktisch einmalige - Regelungen zwar teilweise durchbrochen und einzelne Regelungen des Minderjährigenschutzes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres angewandt. Im Rahmen ihrer Kompetenzen (v.a. hinsichtlich der sozialen Versorgung) bemühen sich auch einzelne Bundesländer um eine Gleichbehandlung aller UMF unter 18 Jahren. Doch grundsätzlich gelten 16- und 17-jährige unbegleitete Ausländer asyl- und aufenthaltsrechtlich als Erwachsene. Das bedeutet beispielsweise, dass sie die
Entscheidung, ob sie überhaupt einen Asylantrag stellen wollen, allein fällen und sich - im
Falle einer Asylantragstellung - selbst um ihr
Asylverfahren kümmern müssen, von der Antragstellung über die Vorbereitung auf die Anhörung bis zu einer Klage gegen einen möglicherweise negativen Bescheid und die Begründung ihrer Klage im Gerichtsverfahren; auch um das hochkomplexe Dublin-Verfahren müssen sie sich selbst kümmern. Sie können dafür zwar die
Unterstützung eines Rechtsanwaltes in Anspruch nehmen, müssen ihn aber im Regelfall selbst bezahlen (zu staatlichen Unterstützungsleistungen in Bezug auf die Rechtsanwaltskosten vgl. Abschnitt 3.5.2.).60
Unter anderem um Regelungen in § 12 AsylVfG und § 80 AufenthG abzusichern, hatte Deutsch59

§ 12 Abs. 1 AsylVfG und § 80 Abs. 1 AufenhtG.
Einzelne Familiengerichte ordnen auch 16-17jährigen auf
Antrag des Vormundes inzwischen einen staatlich bezahlten Rechtsanwalt zu, aber davon profitiert nur eine Minderheit der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in
Deutschland.
60

land einen Vorbehalt zur UN-Kinderrechtskonvention erklärt, der sinngemäß besagte, die
Konventionsrechte gälten nicht für ausländische
Kinder.61 Zwar hat die Bundesregierung diesen
Vorbehalt im Juli 2010 zurückgenommen. Doch die Verfahrensfähigkeit ab dem 16. Lebensjahr steht für die Bundesregierung trotzdem weiterhin nicht zur Debatte; sie sieht keinerlei Bedarf, das AufenthG und das AsylVfG entsprechend zu ändern. b) Achtung des Prinzips vom Kindeswohlvorrang
Die wichtigste Vorschrift der UNKinderrechtskonvention, dass bei allen Entscheidungen, die Kinder unter 18 Jahre betreffen, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist, hat noch an fast keiner Stelle Eingang in die deutsche Gesetzgebung gefunden.
Auf Hinweise, das Bundesamt oder die Ausländerbehörde seien verpflichtet, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen, reagieren deren
Mitarbeiter nicht selten mit dem Hinweis, diese
Vorschrift existiere im deutschen Recht nicht und wenn überhaupt, dann sei die jeweils andere Behörde dafür zuständig. Die Folge ist, dass
Abschiebungen gem. Art. 6 S. 2 D-II-VO – also
Abschiebungen von UMF in den Staat, in dem sie zuerst Asyl beantragt haben – häufig stattfinden, ohne dass eine der beteiligten Behörden geprüft hätte, inwieweit dies mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
Den Autoren, die über 200 unbegleitete minderjährige Ausländer in Dublinverfahren beraten und vertreten haben, sind nur drei Fälle bekannt
(alle aus dem Sommer des Jahres 2010), in denen ein Mitarbeiter des Bundesamtes explizit in
Hinblick auf das Kindeswohl auf eine Abschiebung im Dublinverfahren abgesehen hatte.
61

Vgl. die Erklärung der Bundesregierung anlässlich der
Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zur UNKinderrechtskonvention am 6.3.1992, dort Ziffer IV, zu finden im BGBl 1992 II, 990: „Nichts in dem Übereinkommen kann dahin ausgelegt werden, daß die widerrechtliche
Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, daß sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die
Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthaltes zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen.“

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Häufiger sind es die Ausländerbehörden, die auf die Vollstreckung einer Abschiebung verzichten, entweder weil das Kindeswohl im Zielstaat gefährdet wäre, oder weil in Deutschland vom
Bundesamt unberücksichtigte familiäre Bindungen vorliegen oder weil schließlich eine Abschiebung aus einer Jugendhilfeeinrichtung als eine unverhältnismäßig Maßnahme erscheint.
c) Unterschiedliche Altersregistrierungen in
Europa
Nicht selten stellt sich im Laufe eines Dublinverfahrens heraus, dass ein in Deutschland eindeutig als UMF identifizierter Jugendlicher in einem anderen Dublinstaat als volljähriger Asylantragsteller registriert ist.62 Klärungsbedürftig ist dann, wie diese Altersangabe die Altersangabe in Deutschland beeinflussen kann, wenn der
Jugendliche sein hier angegebenes Alter nicht mit Dokumenten belegen kann.
Das Bundesamt hat in einer internen Dienstanweisung festgelegt, dass die Altersangabe aus dem anderen MS nicht übernommen werden darf, gleichwohl aber Ermittlungen zu den Abweichungen aufgenommen werden können.
Letztlich erklärt sich das Bundesamt aber an die
Altersfestsetzung gebunden, die die Behörde in dem jeweiligen Bundesland getroffen hat, in dem der Jugendliche lebt.63 Da die Unterbringung von UMF Sache der Bundesländer ist, hängt auch die Methodik der Altersfestsetzung von den jeweiligen Regelungen des Bundeslandes ab. Während z.B. in Hessen allein Sozialarbeitern und Pädagogen des Jugendamtes das
Alter durch eine Inaugenscheinnahme im Rahmen eines Gespräches ermitteln, sind in anderen Bundesländern auch Ausländerbehörden oder die Bundespolizei beteiligt bzw. werden
62

Vgl. zu dieser Problematik: D. Bender/M. Bethke, Sag mir, wie alt du bist! In: HinterlandMagazin Nr. 14, abrufbar unter: http://www.hinterland-magazin.de sowie D. Bender/ M. Bethke, Das Kindeswohl im Dublinverfahren. In:
Asylmagazin 3-42011. Teil 1 abrufbar unter: http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_ asylmagazin/ Beitraege_AM_2011/AM2011-3-68Bender__Bethke.pdf Teil 2 abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/ beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2011/ AM2011-4112_Bender-Bethke.pdf.
63
Der Bundesfachverband UMF hat die Dienstanweisung auf seiner Internetseite zugänglich gemacht: http://www.b-umf.de/images/da_unbegleiteteminderjaehrige-2010.pdf. medizinische Altersfestsetzungen z.B. durch
Röntgen durchgeführt. Obwohl diese Behörden bei dem von ihnen festgesetzten Alter bleiben könnten, übernehmen einige sogar dennoch
Altersangaben aus anderen MS, von denen sie im Rahmen des Dublinverfahrens erfahren haben, unabhängig davon, wie sie zustande gekommen ist. Den Autoren ist auch ein Fall bekannt, in dem das Bundesamt einen Jugendlichen entgegen der eigenen BundesamtsDienstanweisung unter dem Geburtsdatum abzuschieben versuchte, unter dem er in den
Niederlanden registriert war.
Steht fest, dass der Jugendliche in Deutschland als minderjährig gilt, im anderen MS aber als
Volljähriger registriert war, stellt sich die Frage, ob er dort überhaupt wirksam einen Asylantrag stellen konnte und ob somit Art. 6 Abs. 2 D-IIVO Anwendung finden kann. Der Argumentation, Art. 6 Abs. 2 D-II-VO sei in solchen Konstellationen nicht anwendbar und Deutschland als
Land der ersten (wirksamen) Asylantragstellung zuständig, haben sich inzwischen mehrere Verwaltungsgerichte angeschlossen.64
Wird ein Jugendlicher allerdings tatsächlich „in die Volljährigkeit abgeschoben“, verliert er seine ihm als Minderjährigem zustehenden Rechte in dem Moment, in dem er im Zielstaat landet; er wird mit der Landung gleichsam volljährig.
Der in Deutschland vom Familiengericht bestellte Vormund des UMF kommt in diesen Fällen seinerseits in die eigenartige Situation, dass er einerseits mangels “Ablösung“ durch einen
Vormund im Zielstaat nicht von seinen Pflichten befreit wird, er andererseits die Pflichten, die ihm durch den Beschluss des Familiengerichts auferlegt wurden, aufgrund der Distanz und mangelnder Handlungshoheit im anderen Dublinstaat nicht mehr erfüllen kann. Die Verantwortlichkeit des deutschen Amtsvormundes endet in Fällen von Dublin-Abschiebungen nicht allein deshalb, weil sich sein Mündel außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes befindet – ausüben kann er sie dennoch nicht.
64

VG Frankfurt, Beschluss vom
15.10.2010, Az. 9 L 3171/10.F.A, abrufbar unter: http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/1 7722.pdf sowie VG Frankfurt, Beschluss vom 02.08.2010,
Az. 8 L 1 827/10.F.A(V), abrufbar unter: http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/1 7354.pdf.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Ein Ende der „Abschiebungen in die Volljährigkeit“ könnte eine neue gesetzliche Regelung herbeiführen, die im November 2011 im Zuge der Umsetzung der EU-Rückführungsrichtlinie verabschiedet wurde. In das Aufenthaltsgesetz wurde der neue § 58 Abs. 1a eingefügt, der lautet: „Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten
Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.“
Diese Neuregelung geht letztlich auf Art. 10 der
Rückführungsrichtlinie zurück. Die Richtlinie selbst ist zwar nicht auf Dublinabschiebungen anwendbar, der deutsche Gesetzgeber hat den
Absatz allerdings so formuliert, dass er unmittelbar auf alle Abschiebungen in jeden Zielstaat anwendbar ist. Er wäre auch schwer nachvollziehbar, warum ausgerechnet bei innereuropäischen Abschiebungen niedrigere Kinderschutzstandards gelten sollten als bei Abschiebungen ins Herkunftsland. Dennoch ist das Bundesamt der Ansicht, diese Regelungen seien nicht auf
Dublinabschiebungen anwendbar. So ergibt sich die absurde Situation, dass ein Jugendlicher zwar vor der Abschiebung in kindeswohlgefährdende Verhältnisse im Heimatland geschützt wäre, nach Ansicht des Bundesamt aber in möglicherweise noch schlimmere Verhältnisse in einem Dublinstaat abgeschoben werden kann.
d) Verfahren bei der Bundespolizei
Unter Kindeswohlaspekten problematisch ist die
Situation derjenigen jungen Flüchtlinge, die an der deutschen Grenze von der Bundespolizei aufgegriffen werden. Ein im Jahr 2010 von
UNHCR und dem Bundesfachverband UMF herausgegebener Bericht beschreibt sie für die deutsch-österreichische Grenze im Landkreis
Rosenheim (Bayern) folgendermaßen: 65

Wird eine Person aufgegriffen, die sich als minderjährig zu erkennen gibt, findet zunächst eine
Befragung zu Identität, Alter, Reiseweg etc. durch die Bundespolizei statt. Zweifelt die Polizei an den Altersangaben, wird eine Röntgenuntersuchung durchgeführt, deren Ergebnis der
Betroffene nicht gerichtlich überprüfen lassen kann, sondern das als verbindlich gilt. Hält die
Polizei den Jugendlich für jünger als 16 Jahre, wird er dem Jugendamt übergeben, das ihn in einer Jugendhilfeeinrichtung in Obhut nimmt.
Hält die Polizei den Jugendlichen für 16- oder
17jährig, leitet sie ein Strafverfahren wegen illegaler Einreise ein und prüft, ob eine Zurückschiebung nach Österreich oder in einen anderen Dublinstaat möglich ist. Ist sie nicht unmittelbar möglich, kann der Jugendliche in Abschiebungshaft genommen werden. Ist eine
Zurückschiebung nicht durchführbar, wird der
Jugendliche in die Erstaufnahmeeinrichtung für erwachsene Asylsuchende in München gebracht.
Problematisch ist hierbei zum einen die Altersfestsetzung durch die Polizei bzw. durch das umstrittene Handwurzelröntgen, zum anderen die Möglichkeit, Jugendliche zurückzuschieben oder in Haft zu nehmen bzw. sie bestenfalls in eine Einrichtung für erwachsene Asylsuchende zu bringen, anstatt sie in einer Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.
Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2012 217 unbegleitete Minderjährige von der Bundespolizei an deutschen Grenzen aufgegriffen, insbesondere an der deutsch-französischen Grenze
(90 UMF) sowie an Flughäfen (50 UMF). 24 von ihnen wurden zurückgewiesen bzw. zurückgeschoben, überwiegend in die Niederlande (10
UMF) und Frankreich (7 UMF), 185 Minderjährige wurden von der Bundespolizei an das Jugendamt übergeben.66

65

Bundesfachverband UMF und UNHCR: Evaluierung der
Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in
Stadt und Landkreis Rosenheim. Abrufbar unter http://www.b-umf.de/images/evaluation_rosenheim _2011.pdf. Die Praxis kann sich in anderen Bundesländern unterscheiden. Auf der Seite des B-UMF sind zahlreiche
Evaluationsberichte aus den Bundesländern zu finden, die zeigen, wie uneinheitlich die Behörden – je nach Bundes-

land, teilweise je nach Stadt - mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen umgehen.
66
Antwort der Bundesregierung auf einer parlamentarische Anfrage, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/ dip21/btd/17/104/1710454.pdf hier S. 21f.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

3.5 Effektiver Rechtsschutz und Rechtsberatung
3.5.1. Effektiver Rechtsschutz
Lehnt das Bundesamt einen Asylantrag als unbegründet ab (und hält also ein Leben des Betroffenen in seinem Herkunftsstaat für zumutbar), fordert es den Betroffenen zur freiwilligen
Ausreise auf, setzt eine Frist und droht andernfalls die Abschiebung an. Lehnt das Bundesamt dagegen einen Asylantrag als unzulässig ab (und verweist den Betroffenen also auf einen anderen Mitgliedsstaat), erlässt es einen DublinBescheid - die sogenannte „Abschiebungsanordnung“ -, der keine Frist zur freiwilligen Ausreise vorsieht.
Der Gesetzgeber geht aber noch weiter, als lediglich die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise binnen einer bestimmten Frist vollkommen auszuschließen: Darüber hinaus ordnet nämlich
§ 34 a Abs. 2 AsylVfG an, dass gegen Abschiebungsanordnungen auf der Grundlage der D-IIVO von einem möglicherweise angerufenen
Gericht kein Eilrechtsschutz gewährt werden darf. § 34 a Abs. 2 AsylVfG regelt auf diese Weise etwas, was aus keinem anderen Rechtsgebiet des Öffentlichen Rechts bekannt ist: Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung, und gegen die drohende Verwaltungsvollstreckung darf das
Gericht keinen Eilrechtsschutz gewähren. Einem
Verwaltungsrichter ist es mit anderen Worten in
Deutschland gesetzlich verboten, über einen gestellten Eilrechtsschutzantrag inhaltlich zu entscheiden. Die gleiche Regelung gilt bereits seit 1993 für
Verfahren, in denen ein Asylantrag wegen der
Einreise aus einem sog. sicheren Drittstaat abgelehnt wird. Mit den verfassungsrechtlichen
Fragen, die ein solch weitgehender Rechtsbehelfsausschluss natürlich aufwirft, hatte sich das
Bundesverfassungsgericht bereits damals auseinanderzusetzen. Das BVerfG erklärte 1996 den
Eilrechtsschutzausschluss im Anwendungsbereich der Abschiebungen in sichere Drittstaaten für verfassungskonform, wenn und soweit einige im Urteil näher formulierte Ausnahmen berücksichtigt werden.67

67

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1996, Az.
2 BvR 1938/93, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/cgi-

Die Gewähr von Eilrechtsschutz ist nach diesen
Ausnahmen doch zulässig, wenn der Asylsuchende einen der folgenden Punkte glaubhaft macht: konkret drohende Todesstrafe in dem
Drittstaat;
fehlende Möglichkeit des Drittstaats zu verhindern, dass der Betroffene dort nach seiner Ankunft Opfer eines Verbrechens wird; plötzliche Änderung der Verhältnisse in dem Drittstaat, ohne dass die Bundesregierung diesen Staat aus der Liste der sicheren Drittstaaten herausgenommen hat (siehe § 26 a Abs. 3 AsylVfG); der Drittstaat ist in dem konkreten Fall selbst Verfolgerstaat, wovon auch Verletzungen von Art. 3 EMRK erfasst werden; konkrete Gefahr, dass der Drittstaat sich des Betroffenen ohne jede Prüfung des
Schutzgesuchs entledigt, dass also eine
Kettenabschiebung droht.
Begründet wurden die Fallgruppen damit, dass sich der Gesetzgeber zwar immer dann, wenn er
Staaten zu „sicheren Drittstaaten“ erkläre (vgl. dazu Art. 16a Abs. 2 GG), vergewissere, dass in diesen Staaten auch wirklich die fundamentalen
Grundprinzipien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK) eingehalten würden; diesem sog. Prinzip der normativen Vergewisserung seien aber naturgemäß Grenzen gesetzt.
Die Ausnahmefallgruppen würden diese Grenzen konkretisieren, weshalb in diesen Fällen ausnahmsweise Eilanträge zulässig sein sollen. §
34a AsylVfG, der Eilrechtsschutz gegen Abschiebungen in sog. sichere Drittstaaten und mittlerweile auch gegen Dublinabschiebungen ausschließt, wurde dennoch beibehalten.

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Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Angesichts zunehmend dramatischer Berichte über die Aufnahme- und Verfahrensbedingungen für Asylsuchende in Griechenland entwickelte sich ab 2008 eine Diskussion in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, ob nicht angesichts der völligen Aussichtslosigkeit, in
Griechenland bei den zuständigen Behörden ein
Asylbegehren anzubringen, Eilrechtsschutz gegen Abschiebungen in diesen Staat möglich sein müsse. Es war insofern zwar unstrittig, dass in
Fällen des § 34 a Abs. 2 AsylVfG, in denen es um eine Abschiebung auf der Grundlage der D-II-VO ging, (mindestens) die gleichen Ausnahmen gelten sollten, wie sie das BVerfG für die Abschiebung auf der Grundlage der SichereDrittstaaten-Regelung formuliert hatte. Es war allerdings ebenso unstreitig, dass – nach der damaligen Lesart, vor der M.S.S.-Entscheidung des EGMR - keine der vom BVerfG 1996 formulierten fünf Ausnahmefälle auf die Situation, mit der Asylbewerber in Griechenland konfrontiert sind und waren, zutraf.
Eine Vielzahl unterinstanzlicher Verwaltungsgerichte – erstmals das VG Gießen im April 200868
- zog hieraus die Konsequenz, dass der Katalog der fünf Ausnahmefälle um eine sechste, unbenannte Gruppe, die die Situation in Griechenland erfasst, zu erweitern und dass Eilrechtsschutz damit zulässig und möglicherweise auch zu gewähren ist. Diese Rechtsprechung erhielt seit dem 8.9.2009 sogar Unterstützung durch das BVerfG, als das Verfassungsgericht erstmals im Wege einer einstweiligen Anordnung nach
§ 32 BVerfGG vorläufig die Abschiebung eines irakischen Asylbewerbers nach Griechenland untersagte. Es sollte nicht die einzige Anordnung dieser Art bleiben, vielmehr sind mindestens zwölf weitere Eilbeschlüsse des BVerfG bekannt geworden.
Letztlich blieb im Rahmen der anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren – trotz einer mündlichen Verhandlung – aber eine Entscheidung des BVerfG zu den sich stellenden Fragen
– insbesondere zu der Frage der Zulässigkeit einer sechsten Ausnahmefallgruppe und deren
Kriterien – aus. Hintergrund war, dass das Bundesinnenministerium die Beschwerdeführer in sämtlichen anhängigen Verfahren klaglos stellte und für den Zeitraum bis Anfang 2012 – der
68

VG Gießen, Beschluss vom 25. 4. 2008, Az. 2 L
201/08.GI.A.

inzwischen verlängert wurde bis Januar 2014 – erklärte, keine Asylbewerber mehr nach Griechenland abzuschieben.
Die Bundesregierung erklärte bereits am
9.4.2010 gegenüber dem Bundestag, sie setze sich in den Verhandlungen über eine
Neufassung der Dublin-II-Verordnung dafür ein, dass der Eilrechtsschutz weiterhin ausgeschlossen bleiben könne.69
Auch nach der M.S.S-Entscheidung des EGMR und der N.S.-Entscheidung des EuGH halten das
Bundesamt und die Bundesregierung am
Ausschluss des Eilrechtsschutzes fest.70 Das
Dublin-Referat des Bundesamtes betonte nach der N.S.-Entscheidung des EuGH, dass § 34a
AsylVfG weiterhin nicht zur Diskussion stehe:
„Die Meinung, die neue EuGH-Rechtsprechung zwinge Deutschland, § 34a AsylVfG zu streichen, trägt somit nicht.“71

3.5.2. Zugang zu Rechtsberatung für Asylsuchende in Deutschland
Effektiven Rechtsschutz gegen eine DublinAbschiebung zu erlangen, ist also in Deutschland ausgesprochen schwierig. Deshalb wiegt es umso schwerer, dass es in Deutschland im Ergebnis keine staatlich finanzierte Rechtsberatung für Asylsuchende gibt. Zwar existiert ein sog. Beratungshilfegesetz, das von Deutschland gegenüber der EU und anderen Mitgliedsstaaten seit jeher als das Instrument deklariert wird, das den kostenlosen Zugang von ratsuchenden
Asylbewerbern zu Rechtsanwältinnen/en sicherstellt. In der Praxis ist das Instrument aber völlig ineffektiv, weil

69

Bundestags-Drucksache 17/1340 vom 9. 04. 2010, dort
S. 18, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/ dip21/btd/17/013/1701340.pdf. 70
Vgl. z.B. Bundestags-Drucksache 17/4827 vom
21.2.2011, abrufbar unter: http://dokumente.linksfraktion. net/drucksachen/20980_1704827.pdf, sowie BundestagsDrucksache 17/5579 vom 18.04.2011, dort S. 5, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/ dip21/btd/17/055/1705579.pdf. 71
Vgl. die Stellungnahme des Referats 430 im Einzelentscheiderbrief 2-2012, abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikation en/Entscheiderbrief/2012/entscheiderbrief-022012.pdf?__blob=publicationFile, hier S. 2.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

1. die Amtsgerichte, die für die Entscheidung über das Recht der Betroffenen, in den Genuss von Beratungshilfe zu kommen, zuständig sind, die Gewährung in der Regel mit dem Argument ablehnen, es gehe im Asylverfahren lediglich um tatsächliche und nicht um rechtliche Fragen;
2. der Geldbetrag, der im Falle der Gewähr von
Beratungshilfe an die/den Rechtsanwältin/Rechtsanwalt für seine Arbeit gezahlt wird, mit 70 € netto derart gering ist, dass die meisten Rechtsanwältinnen/e eine Übernahme derartiger Mandate ablehnen oder aber in die rechtliche Beratung nur minimale Zeit investieren.
Dass es im Ergebnis praktisch an jeglicher staatlich finanzierter Rechtsberatung fehlt, kann nur zu einem geringen Teil durch den Zugang von
Asylsuchenden zu den Beratungsstellen der
Wohlfahrtsverbände kompensiert werden. Diese sind zwar in fast allen Erstaufnahmeeinrichtungen und in vielen Regionen vorhanden, aber ihre Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus.
Auch wird nicht überall Rechtsberatung im engeren Sinne durch Juristen bzw. durch von Juristen unterstützte Berater angeboten.
Wer einen Rechtsbeistand durch einen Juristen benötigt, muss ihn also in Deutschland letztlich privat finanzieren. Die in Dublin-Verfahren so wichtige Beratung und Vertretung vor dem Tag der Zustellung des Dublin-Bescheides (d.h. in aller Regel dem Tag der Abschiebung) ist in keiner Weise staatlich finanziert. Zwar gibt es in einigen Regionen Zuschüsse zu den Kosten durch Wohlfahrtsorganisationen, aber auch finanziell sind ihre Mittel begrenzt und längst nicht für alle Asylsuchenden zugänglich.
Im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten stellt sich die Finanzierung einer/s Anwältin/Anwalts ähnlich schwierig dar wie im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Als Grundsatz gilt, dass im Falle des Erfolgs des Betroffenen vor dem Verwaltungsgericht die Bundesrepublik Deutschland die Anwaltskosten zu tragen hat. Im Falle einer Niederlage vor Gericht hat der
Betroffene die Anwaltskosten selbst zu tragen.
Es gibt nun ein Instrument, das ermöglichen soll, dass Rechtsanwältinnen/e nicht nur diejenigen Fälle von den - in der Regel mittellosen Asylsuchenden annehmen, die wirklich erfolgversprechend sind. Dieses Instrument heißt
Prozesskostenhilfe und soll eine staatliche Finanzierung der Anwaltskosten für diejenigen
Fälle absichern, in denen ein Verfahren letztlich zwar keinen Erfolg hatte, aber nicht von vornherein aussichtslos war.
In der Praxis gibt es leider nur wenige Fälle, in denen die Prozesskostenhilfe tatsächlich zum
Tragen kommt. Denn die meisten Gerichte argumentieren, dass ein Rechtsbehelf, der schlussendlich abgelehnt wird, auch von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und versagen dann mit diesem Hinweis Prozesskostenhilfe.
Im Ergebnis wird man daher sagen müssen: Im
Verwaltungsverfahren ist anwaltlicher Beistand für die Betroffenen nur durch Eigenfinanzierung zu erlangen. Im Verwaltungsgerichtsverfahren trägt die Bundesrepublik Deutschland die Anwaltskosten, wenn sie im Verfahren unterliegt; in allen anderen Fällen muss der Betroffene den
Beistand selbst finanzieren.
Etwas anders stellt sich die Situation bei unbegleiteten Minderjährigen dar. Sie können unter
Umständen einen Ergänzungspfleger, d.h. einen staatlich finanzierten Rechtsanwalt, zur Seite gestellt bekommen, der sie im Asylverfahren vertritt. Die erste Voraussetzung ist, dass die Jugendlichen einen Vormund in Deutschland haben. Der
Vormund wird vom Familiengericht bestellt, das in der Regel vom Jugendamt darum gebeten wird. Einige Familiengerichte weigern sich, bei
UMF, deren Eltern noch leben und sporadisch telefonisch erreichbar sind, Vormundschaften einzurichten, so dass diese Jugendlichen auf sich selbst gestellt sind und allenfalls vom Sozialdienst des Jugendamtes betreut werden.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Der 16jährige Karim aus Algerien erreicht
Deutschland im März 2012. Sein Vater ist tot, mit seiner Mutter, so berichtet er, hatte er bereits längere Zeit keinen Kontakt, er lebte dort auf der Straße. Auch von Deutschland aus gibt es keinerlei Kontakt zwischen Karim und seiner
Mutter. Das Jugendamt beantragt sofort die
Bestellung eines Vormundes. Im Juli 2012 lehnt das Familiengericht den Antrag ab: Durch moderne Kommunikationsmittel und Reisemöglichkeiten sei es möglich, elterliche Sorge auch aus der Ferne auszuüben.
Ähnlich geht es dem 15jährigen Alou aus Mali.
Er berichtet dem Jugendamt im März 2012, seine Mutter sei tot, das Verhältnis zu seinem gewalttätigen Vater sei zerrüttet, letztlich sei die
Angst vor seinem Vater der Anlass seiner Flucht gewesen. Auch bei Alou lehnt das Familiengericht die Einrichtung einer Vormundschaft ab. Es informiert das Jugendamt im Juli 2012 – als
Mali bereits seit Monaten im Bürgerkrieg versinkt – dass allenfalls ein Entzug des Sorgerechts des Vaters in Betracht käme. Im September
2012 lehnt es den Antrag auf Einrichtung einer
Vormundschaft endgültig ab.
Karim und Alou sind nun in allen ihren Angelegenheiten völlig auf sich allein gestellt. Allein die
Tatsache, dass sie in Hessen leben und dort – anders als UMF in einigen anderen Bundesländern – in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht sind, garantiert ihnen eine gewisse Unterstützung durch engagierte Sozialarbeiter und
Pädagogen. Denn im Grunde überlässt ihnen das
Familiengericht sämtliche Entscheidungen, die sonst in Vormund trifft, ganz alleine. Dazu zählen z.B. Fragen der Schulwahl, der medizinischen
Behandlung, des Wohnortes und der Unterbringungsform und natürlich auch die Frage, ob ein
Asylantrag gestellt wird oder nicht.

Wie eine Alternative zum Asylverfahren aussehen könnte, wie eine Anhörung beim Bundesamt vorbereitet werden sollte, ob gegen einen Bescheid des Bundesamtes Klage erhoben werden sollte, soll nach Ansicht des Familiengerichtes den beiden Jugendlichen selbst überlassen bleiben.
Neben der Bestellung eines Vormundes ist die zweite Voraussetzung für die Bestellung eines
Anwalts für einen UMF, dass das Familiengericht der Ansicht ist, dass eine anwaltliche Vertretung nötig und die Kenntnisse des Vormundes im Asylrecht nicht ausreichend seien.
Da das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht 1617jährige Ausländer – der UN-Kinderrechtskonvention zum Trotz - bereits als Erwachsene behandelt, halten es viele Familiengerichte nicht für nötig, ihnen einen Anwalt beizuordnen, da sie nach deutscher Rechtslage ja fähig seien, ihr Asylverfahren alleine zu betreiben.
(Eine Ausnahme bildet z.B. das Familiengericht in Frankfurt a.M., das unter Verweis auf die UNKinderrechtskonvention, die alle Personen unter
18 Jahren als Kinder definiert, auch für 1617jährige UMF Ergänzungspflegschaften einrichtet.) Weiterhin argumentieren viele Familiengerichte, der Vormund könne entweder selbst qualifizierte Rechtsberatung leisten oder müsse sie selbst finanzieren – wobei die deutschen
Jugendämter dafür nach Kenntnis der Autoren keinerlei Ausbildung bzw. Geldmittel haben.
Die wenigsten UMF in Deutschland werden folglich von einem Ergänzungspfleger unterstützt, und die Finanzierung der privat beauftragten
Rechtsanwälte gestaltet sich äußerst schwierig.
Vormünder sind nicht verpflichtet, sich im Asylrecht zu qualifizieren und können in den wenigsten Fällen auf kostenlose Rechtsberatung zurückgreifen. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

3.6. Haft im Dublinverfahren
a) Grundzüge des Haftrechts
Die beiden für die Abschiebungshaft wichtigsten
Normen sind §§ 62, 62a AufenthG. Dort sind die Voraussetzungen (erstens vollziehbare Ausreisepflicht, zweitens Vorliegen eines der Haftgründe aus § 62 Abs. 3 AufenthG, drittens Verhältnismäßigkeit der Haft) ebenso wie die maximale Dauer (18 Monate) geregelt. Das Verfahren zur Verhängung von Abschiebungshaft ist in
§§ 415ff. FamFG geregelt. Mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2009 wurde eine „Zersplitterung“ beendet, von der die Rechtsprechung zum
Haftrecht bis dahin gekennzeichnet war. Denn seitdem entscheidet über Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Abschiebungshaft stellen, bundesweit einheitlich der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.
b) Typische Konstellationen der Dublin-Haft
Wie viele Personen vor einer Abschiebung im
Rahmen des Dublinverfahrens inhaftiert werden, wird statistisch nicht erfasst. Aktuelle
Schätzungen von NGOs, die Beratung in Haftanstalten anbieten, gehen davon aus, dass ca. die
Hälfte aller Abschiebungshäftlinge in Deutschland „Dubliner“ sind.
Wesentlich für das Verständnis der Dublin-Haft in Deutschland sind zwei Grundsätze:
- Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, dürfen während der Dauer des Asylverfahrens nicht in Abschiebehaft genommen werden.
- Wird ein Ausländer allerdings - z.B. wegen illegalen Grenzübertrittes - von der Polizei spontan festgenommen und vom Amtsgericht Abschiebungshaft verhängt, bevor bei der dafür zuständigen Behörde - dem Bundesamt - ein schriftlicher Asylantrag eingegangen ist, hindert gem. § 14 Abs. 3 AsylVfG die spätere Asylantragstellung weder die Aufrechterhaltung noch die Verlängerung der Haft.
Der Verfahrensablauf im Dublin-Verfahren, der zur Haft führt, stellt sich angesichts dieser
Grundsätze typischerweise so dar: Der Betroffene wird bei der illegalen Einreise nach
Deutschland spontan festgenommen.

Aufgrund des Reiseweges bzw. einer Fingerabdruckauswertung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass ein anderer Mitgliedsstaat verpflichtet ist, den Betroffenen im Wege des Dublinverfahrens zurückzunehmen. Die zuständige Behörde stellt einen Haftantrag beim zuständigen
Amtsgericht. Sofern das Amtsgericht tatsächlich
Haft anordnet, hat der Inhaftierte die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungshaft beim Amtsgericht, beim Landgericht und schließlich beim Bundesgerichtshof einzulegen.
Der Betroffene hat auch die Möglichkeit, schriftlich einen Asylantrag beim Bundesamt zu stellen, was aber an der Zulässigkeit der Haft dann nichts mehr ändert.
Der Umstand, dass in den beschriebenen Fällen ein „Wettlauf“ zwischen der Polizei, beim Amtsgericht erfolgreich Haft zu beantragen, und dem Ausländer, der möglichst schnell wirksam beim Bundesamt einen Asylantrag stellen will, stößt bei NGO’s und Anwälten in Deutschland auf heftige Kritik.72
Es sind noch weitere, seltenere Konstellationen der Haft in Dublin-Fällen denkbar:
- Dem Ausländer ist die wirksame Asylantragstellung gelungen (weshalb er für die Dauer des
Asylverfahrens nicht in Haft genommen werden durfte), sein Asylantrag ist aber inzwischen wegen der Unzuständigkeit Deutschlands für das
Asylverfahren abgelehnt. Ab dem Zeitpunkt, in dem dem Betroffenen der Ablehnungsbescheid tatsächlich wirksam bekanntgegeben worden ist
(und damit eine vollziehbare Ausreisepflicht begründet wurde), kann bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen (Haftgrund, Verhältnismäßigkeit) Haft gegen ihn verhängt werden. In
Dublin-Fällen wird als Haftgrund häufig angenommen, die Person werde untertauchen. In dieser Konstellation stellt sich rechtlich gesehen allerdings für die Behörden jedoch oft das Problem, dass ein Richter die Haft – von wenigen
Ausnahmefällen abgesehen - vor der Festnahme anordnen muss. Da Dublinbescheide meist erst
72

Peter Fahlbusch: Haft in Verfahren nach der Dublin-IIVerordnung. Asylmagazin 9-2010, S. 289-295. Abrufbar unter: http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asy lmagazin/Beitraege_AM_2010/AM-2010-09-289fahlbusch.pdf. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

von der Polizei zugestellt werden, sind die Betroffenen bis zu diesem Zeitpunkt aber gar nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Wendet sich die
Polizei also vor Bekanntgabe des Dublinbescheides mit einem Haftantrag an das Amtsgericht, fehlt es an der für die Haftanordnung erforderlichen vollziehbaren Ausreisepflicht. In diesen Fällen ist Haft rechtswidrig, dennoch wird sie häufig verhängt.
- Eine Person wurde bereits in einen anderen
Dublinstaat abgeschoben und kehrt nach
Deutschland zurück (die Fälle solcher „DublinRückkehrer“ nehmen zu), obwohl eine Wiedereinreisesperre verhängt wurde. In diesen Fällen wird regelmäßig Haft beantragt.
- Eine Person wurde aus einem anderen MS nach Deutschland abgeschoben, hat hier bereits zuvor ein Asylverfahren negativ abgeschlossen hatte und ist ausreisepflichtig – dann können die Behörden Haft zur Sicherung der Abschiebung beantragen.
c) Asylanträge, die nicht in Behandlung genommen werden
Dass Haft nicht vermieden, sondern gerade in
Dublinverfahren politisch gewollt ist, zeigt ein
Erlass des Bundesinnenministeriums vom
3.3.2006. Darin heißt es:
„In Fällen, in denen Drittstaatsangehörige an der Grenze bzw. nach unerlaubter Einreise im
Grenzraum (…) aufgegriffen werden und ein
Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren gegenüber einem anderen Teilnehmerstaat eingeleitet wird, ist ein von diesem Ausländer gestellter Asylantrag, der ggf. aus der Haft heraus vom Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten an das Bundesamt übermittelt wird, nicht in
Behandlung zu nehmen. Dem Ausländer ist mitzuteilen, dass das Asylgesuch an die Bundespolizei zu richten ist (…). Ziel ist es … eine Abschiebehaft zu erlangen, um den Ausländer dann direkt aus der Haft heraus in den zuständigen
Staat im Rahmen des Dublinverfahrens zu überstellen.“
Dies verstößt gegen Art. 6 Abs. 5 der EUVerfahrensrichtlinie, der sicherstellen soll, dass asylsuchende Personen von der Behörde, an die sie sich wenden, entweder über die Modalitäten und die zuständige Stelle für die Stellung eines

solchen Asylantrages beraten werden oder ihr
Antrag an die zuständige Behörde weitergeleitet wird. Stattdessen erfolgt eine Fehlinformation
(denn die für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständige Behörde ist das Bundesamt und nicht die Bundespolizei), und nicht nur die Weiterleitung eines bei der Bundespolizei gestellten
Asylgesuchs, sondern auch die Bearbeitung eines Asylantrages beim Bundesamt werden verweigert. Gibt es aber keinen Asylantrag in
Deutschland, ist auch kein Antrag auf Selbsteintritt möglich.
Besonders viele Fragen wirft diese Regelung bei folgender Konstellation auf: Eine Person ist über einen oder mehrere andere MS nach Deutschland eingereist, hat dort aber noch keinen Asylantrag gestellt. Um überhaupt ein Dublinverfahren auslösen zu können, muss sie in Deutschland als asylsuchend registriert sein, andernfalls wäre die D-II-VO nicht anwendbar. Obwohl nun der Asylantrag nicht in Behandlung genommen wird, wird sie gegenüber dem anderen MS als
Asylantragsteller bezeichnet, um dessen Zuständigkeit für das Asylverfahren zu begründen.
d) Dublinverfahren unter Federführung der
Bundespolizei
Bei Personen, die im grenznahen Raum aufgegriffen werden, kann eine weitere Besonderheit bei den Dublinverfahren auftreten. Gem. Art. 23
(1) D-II-VO und § 3 der deutschen Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung (AsylZBV) kann anstelle des Dublinreferats des Bundesamtes die Bundespolizei das Dublinverfahren durchführen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein an Deutschland angrenzender Mitgliedsstaat für das Asylverfahren zuständig ist.
Abkommen bzgl. dieser Verfahren hat Deutschland derzeit mit Dänemark, Tschechien, Österreich und der Schweiz abgeschlossen.
Sie sollen nur in „eindeutigen“ Fällen angewandt werden, wenn also die Zuständigkeit dieses angrenzenden Staates quasi auf der Hand liegt. Zu einem ordnungsgemäßen Dublinverfahren gehört die korrekte Prüfung der Zuständigkeitskriterien in der richtigen Reihenfolge. Da die Bundespolizei aber in diesen Verfahren nur mit vier genannten Staaten kommunizieren darf und sie anders als das Bundesamt nicht über eine spezialisierte Abteilung für Dublinverfahren verfügt, ist fraglich, ob diese Prüfung umfassend

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

durchgeführt werden kann und insbesondere familiäre und humanitäre Aspekte ausreichend berücksichtigt werden können. Im ersten Halbjahr 2012 richtete die Bundespolizei 79 Ersuchen an andere Staaten und vollzog 76 Ab- bzw.
Zurückschiebungen.73
e) Zugang zu rechtlicher Beratung
In der Praxis besteht, gleich welche Konstellation der Abschiebungshaft zugrunde liegt, ein großes Problem darin, dass viele Abschiebungshäftlinge – „Dubliner“ sowie Personen, die in ihr
Herkunftsland abgeschoben werden - keinen
Zugang zu Rechtsberatung (und damit zu den ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen) haben. Sie haben zwar das Recht, einen Anwalt zu kontaktieren, aber gerade Personen im Dublinverfahren, die sich erst kurze Zeit in Deutschland aufhalten, wird dies aus sprachlichen und finanziellen Gründen kaum gelingen. Nur in wenigen Haftanstalten gibt es unabhängige
Beratung, von kostenfreier Beratung durch Anwälte ganz zu schweigen. Erfahrungen von
Rechtsanwälten und NGOs zeigen, dass Abschiebungsgefangene, die juristisch gegen ihre
Haft vorgehen können, in etwa einem Drittel der Fälle aufgrund einer Gerichtsentscheidung freigelassen werden müssen.74
73

BT-Drucksache 17/10454, abrufbar unter http:// dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf. 74
Peter Fahlbusch: Haft in Verfahren nach der Dublin-IIVerordnung. Asylmagazin 9-2010, S. 289-295. Abrufbar unter: f) Haftbedingungen
Der Vollzug der Haft und die konkreten Bedingungen in den Haftanstalten werden in Deutschland durch die Bundesländer geregelt, so dass die Praxis des Vollzuges sehr unterschiedlich ist.
Die Organisation Pro Asyl hat eine detaillierte
Übersicht über die Regelungen in den einzelnen
Haftanstalten veröffentlicht.75
Daraus ergibt sich, dass Abschiebungshäftlinge entgegen der europarechtlichen Vorgaben teilweise immer noch zusammen mit Strafgefangenen inhaftiert werden und sich auch oft bei getrennten Einrichtungen die Haftbedingungen kaum unterscheiden: Abschiebungshäftlinge haben oft nur zwei Stunden Hofgang, dürfen kaum Besuch empfangen, haben einen sehr eingeschränkten Zugang zu Telefonen und müssen teilweise Gefangenenkleidung tragen. In vielen Gerichtsentscheidungen wird dies z.Zt. kritisiert und die Haft jeweils für rechtswidrig erklärt.76 http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asy lmagazin/Beitraege_AM_2010/AM-2010-09-289fahlbusch.pdf. 75
Sie ist abrufbar unter www.proasyl.de/index.php?id=abschiebungshaft. 76
So stellte z.B. das Landgericht Traunstein fest, dass die
Dublin-Abschiebungshaft eines algerischen Asylsuchenden rechtswidrig war, weil er in der Jugendabteilung der Justizvollzugsanstalt München zusammen mit Straf- und Untersuchungsgefangenen untergebracht war (Beschluss vom
21.8.2012, Az. 4 T 3104/12).

3.7. Personen, die in einem anderen Dublinstaat den Flüchtlingsstatus oder subsidiären Schutz erhalten haben
Anerkannte Flüchtlinge fallen nicht unter die DII-VO. In den Fällen, in denen ein angefragter
Staat mitteilt, dass die Person über die Flüchtlingsanerkennung verfügt, beendet das Dublinreferat das Dublinverfahren und gibt die Akte an die Außenstelle des Bundesamtes zur Entscheidung über den Asylantrag zurück. Dort wird der
Asylantrag allerdings nicht inhaltlich geprüft, sondern es wird ein Bescheid gem. § 26a
AsylVfG gefertigt, d.h. der Asylantrag wird we-

gen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat abgelehnt.77 Diese Bescheide müssen gem. § 31 Abs. 1 S. 4-6 und 34a Abs. 1 AsylVfG genauso wie DublinBescheide weder eine Ausreisefrist enthalten
77

Als sichere Drittstaaten gelten sämtliche Dublin-Staaten mit der Ausnahme von Island und Liechtenstein. Die Rückübernahme durch den anderen Staat geschieht auf der
Basis bilateraler Rückübernahmeabkommen oder des
Schengener Durchführungsübereinkommens. Die Abschiebung wird von der zuständigen Ausländerbehörde ggf. in
Zusammenarbeit mit der Bundespolizei durchgeführt.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

noch vor dem Tag der Abschiebung zugestellt werden; auch hier ist, vgl. § 34a Abs. 2 AsylVfG, der Eilrechtsschutz rechtlich ausgeschlossen.

Deutschland kommen, wird die D-II-VO bislang angewandt, sie gelten als „abgelehnte Asylsuchende“ i.S.d. Art. 16 (1e) D-II-VO.

Die Sichere-Drittstaaten-Regelung, wie sie sich in § 26a AsylVfG wiederfindet, wurde bereits
1993 eingeführt. Sie war Teil des sog. Asylkompromisses, der Einigung im Bundestag über die
Einschränkung des in der Verfassung verankerten Grundrechts auf Asyl (Art. 16a GG). In den
90er Jahren lief die Drittstaatenregelung noch weitgehend leer, da der Reiseweg in aller Regel nicht beweisbar und der Einreisestaat nicht zur
Rückübernahme bereit war. Doch mit der Eurodac- und der D-II-Verordnung wurden mittlerweile Instrumente geschaffen, mit denen sowohl die Einreise über den sicheren Drittstaat beweisbar ist, als auch dieser verpflichtet ist,
Deutschland über den Status zu informieren, der dem Flüchtling dort zugesprochen wurde.
So hat die D-II-VO, obwohl sie auf anerkannte
Flüchtlinge nicht anwendbar ist, der Drittstaatenregelung in Deutschland zur Anwendung verholfen. Bis Ende 2011 führte das Bundesamt für alle
Asylsuchenden, für die Deutschland z.B. durch einen Selbsteintritt oder durch Ablauf der Überstellungsfrist zuständig geworden ist, Asylerstverfahren durch.78 Dies hat sich mittlerweile geändert. Eine interne Dienstanweisung des
Bundesamtes sieht vor, dass in diesen Fällen nun § 71a AsylVfG angewandt wird, eine Regelung, die bisher ein Schattendasein führte. In der Norm heißt es sinngemäß, dass ein Asylsuchender, dessen Asylantrag zuvor bereits in einem anderen Dublinstaat abgelehnt wurde, nur dann ein Asylverfahren in Deutschland erhalten kann, wenn die Voraussetzungen vorliegen, die üblicherweise für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens erfüllt sein müssen.
Zu diesen Voraussetzungen gehören insbesondere neue Gründe und Beweismittel, die nicht schon im Erstverfahren vorgetragen wurden und von denen der Asylsuchende seit maximal drei Monaten Kenntnis hat.79

Zwar gibt es mittlerweile mehrere hundert Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte,
Dublinabschiebungen auszusetzen, weil den
Betroffenen beispielsweise in Griechenland,
Italien, Ungarn oder Malta die Verelendung drohe. Doch obwohl die dort anerkannten
Flüchtlinge häufig unter den gleichen elenden
Bedingungen leben wie abgelehnte Asylbewerber und subsidiär Schutzberechtigte (beide
Gruppen fallen unter die D-II-VO), sind den Autoren nur sehr wenige Gerichtsentscheidungen bekannt, mit der aus diesen Gründen die Abschiebung eines anerkannten Flüchtlings gestoppt worden wäre.
Das führt dazu, dass Personen, die in einem anderen europäischen Land als Flüchtlinge anerkannt wurden und wegen gravierender
Rechtsverletzungen von dort nach Deutschland weitergeflüchtet sind, schlechtere Chancen haben, sich gegen eine Abschiebung zu wehren als Personen, die dort nur subsidiären Schutz erhalten haben oder deren Asylantrag dort in vollem Umfang abgelehnt wurde. Dies ist unter dem Gesichtspunkt des Flüchtlingsschutzes höchst unbefriedigend.
Auf Personen, die in einem anderen MS bereits subsidiären Schutz erhalten und dann nach

Für die Prüfung, welche Asylgründe schon im
Erstverfahren vorgetragen wurden, müsste die entsprechende Akte des anderen MS vorliegen.
Da dies in vielen Fällen unmöglich sein dürfte, bürdet das Bundesamt dem Asylsuchenden selbst die Nachweispflicht auf, dass er neue
Gründe oder Beweise vorträgt. Kann er also selbst die nötigen Unterlagen nicht vorlegen, geht das Bundesamt davon aus, dass die Voraussetzungen für ein Asylzweitverfahren nicht vorliegen. Im Falle eines Asylfolgeantrages – wenn also zuvor bereits ein Asylverfahren in Deutschland negativ abgeschlossen wäre – würde dann zumindest noch geprüft, ob die Voraussetzungen für die Gewährung (europarechtlichen oder des
78

Es sei denn, sie haben früher bereits ein Asylverfahren in
Deutschland durchlaufen. In diesen Fällen wird kein Erstverfahren durchgeführt, sondern geprüft, ob die Voraussetzungen für ein Asylfolgeverfahren (§ 71 AsylVfG) vorliegen.
79
Das Verfahren bei einem Asylzweitantrag ähnelt also sehr dem bei einem Asylfolgeantrag. Ein Asylfolgeantrag liegt dann vor, wenn zuvor der Erstantrag in Deutschland abgelehnt wurde, ein Asylzweitantrag liegt vor, wenn das
Erstverfahren in einem anderen Dublinstaat negativ (bzw. mit subsidiärem Schutz) abgeschlossen wurde.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

nachrangingen nationalen) subsidiären Schutzes vorliegen. Diese Prüfung verweigert das Bundesamt allerdings den Zweitantragstellern, wenn es davon ausgeht, dass diese in einem anderen Dublinstaat bereits subsidiären Schutz erhalten hätten. Den Nachweis, dass dieser
Schutz bereits gewährt wurde, erbringt das
BAMF dabei regelmäßig nicht.
Herr Shire flüchtet von Somalia nach Europa und gelangt zunächst nach Malta. Dort wird er, wie alle Asylsuchenden, inhaftiert. Als er freikommt, stellt er bald fest, dass das Leben auch in "Freiheit" auf Malta unerträglich ist und flüchtet weiter nach Deutschland. Das Bundesamt fragt zwar Malta an, doch weil Herrn Shire mit einem
Gutachten eines psychosozialen Zentrums belegen kann, dass er unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung leidet, übt
Deutschland den Selbsteintritt aus. Herr Shire hofft, nun endlich in Sicherheit zu sein.
Doch das Bundesamt teilt seinem Rechtsanwalt mit, dass trotz des Selbsteintrittes kein Asylverfahren durchgeführt werde. Zwar wisse man nicht, so heißt es in dem Schreiben, ob er einen
Schutzstatus auf Malta erhalten habe. Aber rein statistisch sei es sehr wahrscheinlich, deshalb gehe das Bundesamt davon aus, dass ihm in
Malta subsidiärer Schutz gewährt worden sei und es folglich nicht nötig sei, dass sein Schutzersuchen in Deutschland geprüft werde.
Das Argument der BAMF, warum den Personen mit (vermutetem) subsidiären Schutz in einem anderen europäischen Staat dieser in Deutschland nicht mehr gewährt werden könne, lautet, dass Deutschland nur den Personen einen
Schutzstatus gewähren könne, die noch nirgends in Europa einen Schutzstatus erhalten hätten. Wer z.B. in Italien oder Malta bereits über subsidiären Schutz verfüge, müsse sich genauso auf den dort bereits zugebilligten
Schutzstatus verweisen lassen wie ein dort anerkannter Flüchtling.

Somit stellt sich aktuell die Frage, wie mit Betroffenen weiter verfahren wird, die in einem anderen Dublinstaat (angeblich) subsidiären
Schutz erhalten haben, aber nicht mehr in diesen Staat gemäß den Regelungen der D-II-VO abgeschoben werden können. Deutschland ist zwar für das Asylverfahren dieser Personen zuständig. In Deutschland erhalten sie aber keinerlei Schutzstatus, sondern werden darauf verwiesen, in den anderen Dublinstaat zurückzukehren und dort wieder den zugesprochenen subsidiären Schutz in Anspruch zu nehmen. Dies soll laut Dienstanweisung auch ausdrücklich dann gelten, wenn der andere Dublinstaat die
Rücknahme zu Recht verweigert.
Besonders absurd stellt sich die Situation derjenigen dar, bei denen Deutschland gegenüber dem (angeblich) zuvor Schutz gewährenden
Staat den Selbsteintritt erklärt hat: Deutschland verzichtet wie beispielsweise im Fall von Herrn
Shire wegen der bekanntermaßen katastrophalen Situation auf Malta aus humanitären Gründen auf eine Abschiebung nach Malta und wird damit für das Asylverfahren zuständig. Doch die
Durchführung des Asylverfahrens, die materielle
Prüfung des Schutzersuchens, wird unter Verweis auf die Zuständigkeit Maltas abgelehnt.
Den Autoren ist bisher kein Fall bekannt, in dem es in einer solchen Konstellation tatsächlich zu einer Abschiebung kam. Es besteht aber zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass sich der andere Staat bereiterklärt, den Betroffenen zurückzunehmen, obwohl gem. D-II-VO
Deutschland für sein Asylverfahren zuständig ist. Für diesen Fall sieht das Bundesamt – dies ergibt sich jedenfalls aus Schriftwechseln mit
Anwälten in einzelnen Verfahren - eine Abschiebung in den anderen MS vor, wie sie auch bei dort anerkannten Flüchtlingen vollzogen werden soll: ohne Frist zur freiwilligen Ausreise, ohne Ankündigung, ohne Möglichkeit des Eilrechtsschutzes.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

3.8. Die Situation der nach Deutschland abgeschobenen Personen
Die Situation der nach Deutschland abgeschobenen Personen ist kaum Gegenstand asylpolitischer und juristischer Auseinandersetzungen.
Die Statistik für das Jahr 2011 weist 2995 Übernahmeersuchen an Deutschland aus. Eine Zustimmung erfolgte in 2169 Fällen, eine Abschiebung nach Deutschland in 1303 Fällen. Abgeschoben wurden vor allem Personen mit irakischer (125), afghanischer (120) und kosovarischer Staatsangehörigkeit (103). 58 Personen aus dem Kosovo wurden von Belgien nach
Deutschland abgeschoben, 46 Personen vietnamesische Staatsangehörige von Großbritannien. Weiterhin fällt auf, dass sich Deutschland für 40 Asylsuchende aus Griechenland zuständig erklärt hatte. Hier ist davon auszugehen, dass es sich um Personen handelt, die Familienangehörige in Deutschland haben und die auf Grund von Art. 7, 8 oder 15 D-II-VO aufgenommen wurden80 In 1332 Fällen, also in 61 % der Zustimmungen Deutschlands, erfolgten sie auf der
Grundlage von Art. 16 Abs. 1e, es handelte sich also um Personen, die zuvor bereits ein Asylverfahren in Deutschland durchlaufen und negativ abgeschlossen hatten. Darunter fallen auch
Personen, die in Deutschland subsidiären Schutz erhalten haben, nach der Erfahrung der Autoren handelt es sich allerdings überwiegend um Personen, deren Asylantrag in Deutschland vollständig abgelehnt worden war.
Sie haben die Möglichkeit, nach ihrer Ankunft in
Deutschland einen Asylfolgeantrag zu stellen.
Voraussetzung dafür ist, vgl. § 71 AsylVfG, dass eine neue Sach- oder Rechtslage oder neue
Beweismittel vorliegen. Die neuen Umstände müssen dem Bundesamt binnen drei Monaten nachdem sie dem Asylsuchenden bekannt geworden sind, vorgetragen werden und dürfen noch nicht im Erstverfahren vorgetragen worden sein. Werden Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes geltend gemacht, muss das
Bundesamt diese auch unabhängig von der
Dreimonatsfrist prüfen. Dies gilt z.B. dann, wenn es sich um schwere, im Heimatland nicht behandelbare Krankheiten, um eine posttraumatische Belastungsstörung oder um drohende Genitalverstümmelung handelt, oder wenn sich im
80

Siehe Tabelle 4 im Anhang.

Herkunftsland - vgl. aktuell Syrien - eine Veränderung der politischen Lage ergeben hat.
Im Unterschied zu anderen Dublinstaaten gewährt Deutschland allen Asylsuchenden Unterkunft und ein Mindestmaß an Sozialleistungen und medizinischer Versorgung. Dies gilt auch für abgelehnte Asylsuchende bis zum Tag ihrer Abschiebung. Die Unterkunft wird ihnen von den
Behörden zugewiesen. Nach Deutschland abgeschobene Personen müssen in aller Regel in die
Unterkunft bzw. den Landkreis zurückkehren, in dem sie zuvor untergebracht waren. Die Pflicht, in einer bestimmten Region den Wohnsitz nehmen zu müssen und sich diesen nicht frei auswählen zu können, wird mitunter heftig kritisiert. Hinter der sog. Residenzpflicht steht die
Idee, einerseits die schnelle Erreichbarkeit der
Betroffenen sicherzustellen und andererseits das Bemühen, für eine gleichmäßige Verteilung der meist sozialleistungsabhängigen Personen über das gesamte Bundesgebiet zu sorgen.
Wird eine Person nach Deutschland abgeschoben, die sich noch nie zuvor dort aufgehalten hat, wird sie von der Bundespolizei am Flughafen bzw. der ersten mit ihr befassten Polizeidienststelle an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber weitergeleitet.
Wird eine Person nach Deutschland abgeschoben, die hier bereits vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann es sein, dass sie unmittelbar nach der
Ankunft festgenommen wird und die zuständige
Behörde Haft beantragt. Nach der Erfahrung der
Autoren kommt dies selten vor, aber rechtlich ist es möglich. Ein Asylfolgeantrag steht in dieser Konstellation der Haft nicht entgegen.
Die Statistik des BAMF weist für das Jahr 2011
385 Fälle (ein Anteil von 18% an den Zustimmungen Deutschlands gegenüber anderen MS) aus, in denen die Betroffenen Deutschland noch vor Abschluss des Asylverfahrens verlassen hatten.81
81

Schriftliche Auskunft des BAMF an die NGO Pro Asyl. In
385 Fällen erfolgte die Zustimmung Deutschlands auf der
Basis von Art. 16 Abs. 1c D-II-VO, d.h. in diesen Fällen hatten sich die Betroffenen, nachdem sie in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatten, in einen anderen Mitgliedsstaat begeben.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

In diesen Fällen besteht das Risiko, dass das
Asylverfahren in der Zeit zwischen der Zustimmung Deutschlands und der Abschiebung eingestellt wird (was rechtlich gesehen als Rücknahme des Asylantrages gewertet wird) bzw. der
Asylantrag abgelehnt wird, weil der Asylsuchende seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Personen, die nach Deutschland abgeschoben werden bzw. deren Rechtsanwälte und Berater sollten deshalb möglichst noch vor der Abschiebung nach Deutschland mit der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes den
Stand des Verfahrens klären und ggf. mitteilen, warum der Asylsuchende bis zu seiner Abschiebung einer Ladung zur Anhörung oder sonstigen
Pflichten im Asylverfahren nicht nachkommen kann. Dass die Kommunikation zwischen dem Dublinreferat, das das Übernahmeersuchen aus dem anderen MS bearbeitet und der Außenstelle des

Bundesamtes, das den Asylantrag bearbeitet, nicht immer funktioniert, zeigt der folgende Fall:
Kazim aus Afghanistan stellt in Deutschland einen Asylantrag, begibt sich dann aber nach
Schweden. Schweden ersucht Deutschland um
Wiederaufnahme und Deutschland stimmt zu.
Noch während Kazim sich in Schweden befindet, setzt das Bundesamt eine Anhörung zu den
Fluchtgründen an. Kazim erfährt weder von dem
Termin noch kann er ihn wahrnehmen, da er erst zwei Wochen später von Schweden nach
Deutschland abgeschoben wird. Dennoch lehnt das Bundesamt seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab, weil er der Anhörung ohne ausreichende Entschuldigung ferngeblieben sei.
Er klagt gegen die Ablehnung und das Verwaltungsgericht ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage an, da der Kläger der Anhörung nicht unentschuldigt ferngeblieben sei.

3.9. Beispiele für „Good Practice“
Die wenigen positiven Durchbrechungen der ansonsten aus Sicht der Betroffenen hochrestriktiven Ausgestaltung des Dublin-Verfahrens in
Deutschland sind bereits in den vorhergehenden Abschnitten benannt worden und sollen hier nur kurz in Stichworten benannt werden:
- Es finden - vorerst bis Januar 2014 - überhaupt keine Abschiebungen nach Griechenland statt.
- Besonders schutzbedürftige Personen - aber auch nur diese - werden nicht nach Malta abgeschoben.
- In einigen Regionen Deutschlands erhalten unbegleitete minderjährige Ausländer von den
Amtsgerichten per Beschluss einen staatlich finanzierten Rechtsanwalt zur Seite gestellt.
- Teilweise wurde in Einzelfällen explizit aus
Kindeswohlgründen auf eine Abschiebung verzichtet, z.B. weil der Vormund der Abschiebung widersprochen hatte oder die minderjährigengerechte Unterbringung im Zielstaat nicht sichergestellt war.

- In bislang vier Bundesländern sowie im Bereich einiger weiterer Vollzugsbehördenwerden die
Dublinbescheide trotz der restriktiven gesetzgeberischen Vorgaben aus §§ 31 Abs. 1 S. 4-6, 34a
Abs. 1 S. 1 und 2 AsylVfG bereits einige Tage vor der geplanten Abschiebung zugestellt, so dass der Betroffene informiert ist und rechtliche
Schritte prüfen kann.
- Einige Vollzugsbehörden in Deutschland lassen entgegen der restriktiven gesetzgeberischen
Vorgaben in § 34a Abs. 1 S. 3 AsylVfG in Einzelfällen freiwillige Ausreisen zu, statt auf einer
Abschiebung zu bestehen.
- Immer mehr Verwaltungsgerichte prüfen entgegen der restriktiven gesetzgeberischen Vorgaben in § 34a Abs. 2 AslyVfG Eilrechtsschutzanträge, die Dublin-Abschiebungen betreffen, inhaltlich, anstatt sie schlicht als unzulässig abzulehnen.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

4. Empfehlungen welche Kriterien und welche Fristen in seinem Verfahren Anwendung finden.

Bestimmung des zuständigen Staates
Der Betroffene muss die Möglichkeit erhalten, sämtliche Gründe vorzubringen, warum er ein
Asylverfahren in einem bestimmten
Staat wünscht, sei es in Deutschland oder anderswo.

Der angefragte Staat sollte sämtliche
Informationen, die dem Bundesamt zur
Zuständigkeitsbestimmung vorliegen, erhalten. Anwälten und anderen
Bevollmächtigten sollte zügig
Akteneinsicht gewährt werden.
Wiederaufnahmeersuchen sollten zeitnah gestellt werden, überlange Verfahrenszeiten sind zu vermeiden.

-

Recht auf Information und Rechtsschutz
Es sollte sichergestellt werden, dass alle
Personen, bei denen eine
Eurodacabfrage durchgeführt wird und ggf. ein Dublinverfahren eingeleitet wird, zügig in der in den Verordnungen vorgeschriebenen Weise belehrt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie nicht beim Bundesamt, sondern bei anderen Behörden (z.B. der
Polizei) erkennungsdienstlich behandelt werden. Im Vorfeld einer Abschiebung sollten alle Informationen, insbesondere zur besonderen Schutzbedürftigkeit,
Erkrankungen etc. frühzeitig übermittelt und die angemessene Aufnahme des
Betroffenen sichergestellt werden.
Dublinbescheide sollten ordnungsgemäß sowohl an den
Asylsuchenden als auch den
Prozessbevollmächtigten zugestellt und eine Frist zur freiwilligen Ausreise und zum Einlegen von Rechtsmitteln sollte eingeräumt werden.
§ 34a Abs. 1 S. 3 AsylVfG und § 31 Abs.
1 S. 4 AsylVfG, die die Zustellung des
Bescheides am Tag der Abschiebung ermöglichen und den Eilrechtsschutz damit faktisch ausschließen, sollten gestrichen werden. Bei Zustellung des
Bescheides sollte wie bei der Zustellung eines offensichtlich-unbegründetBescheides eine Kopie der
Bundesamtsakte erfolgen.

Der Betroffene sollte informiert werden, in welcher Weise familiäre
Bindungen bewiesen werden müssen, sei es durch Unterlagen und
Dokumente, sei es durch einen DNATest.

§ 34a Abs. 2 AsylVfG, der den
Eilrechtsschutz darüber hinaus rechtlich ausschließt, sollte gestrichen werden, damit effektiver Rechtsschutz gewährleistet ist.

Die Zuständigkeitskriterien der D-II-VO und die Fristen sollten korrekt angewandt werden und dem
Betroffenen sollte mitgeteilt werden,

Der Gesetzgeber sollte beachten, dass nach dem Unionsrecht ein subjektives
Recht auf Durchführung des Asylverfahrens im zuständigen Staat besteht.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Unklarheiten, die z.Zt. bezüglich der
Zuständigkeit für die Prüfung von sog. inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen bestehen, sollten bundeseinheitlich beseitigt werden. Es spricht dabei viel dafür, die Zuständigkeit bei den Behörden zu belassen, die typischerweise vor Ort den Kontakt zu dem
Betroffenen haben und auch sonst
Erfahrung mit dieser Form nichtzielstaatsbezogener
Abschiebungshindernisse haben, nämlich den lokalen Ausländerbehörden.
Haft im Dublinverfahren
Abschiebungshaft sollte in Dublinfällen vermieden werden, der Erlass des
Bundesinnenministeriums von 2006, der grundsätzlich Haft bei Aufgriff an der
Grenze verlangt, sollte zurückgenommen werden. Insbesondere sollten
Polizeibehörden im Falle des Aufgriffs und der vorläufigen Festnahme eines
Ausländers diesem die Chance geben, formwirksam einen Asylantrag beim
Bundesamt zu stellen, anstatt sich lediglich um die Verhängung von Abschiebungshaft durch das Amtsgericht zu bemühen. In allen Haftanstalten sollte unabhängige Rechtsberatung angeboten werden und mittellose Häftlinge sollten
Zugang zu einem staatlich finanzierten
Rechtsanwalt haben (analog zum
Pflichtverteidiger im Strafverfahren) um sowohl den Haftbeschluss als auch die
Dublin-Entscheidung angreifen zu können. Fristverlängerung bei „Untertauchen“
Dem Wortlaut der D-II-VO bzgl. der möglichen Fristverlängerung sollte
Rechnung getragen werden: Die automatische Verlängerung der
Überstellungsfrist auf 18 Monate bei dem bloßen Verdacht des „Untertauchens“ – also wenn der Betroffene von der Polizei nicht in seiner Unterkunft angetroffen wurde – sollte unterbleiben. Fristverlängerungen

sollten Ermessensentscheidungen sein und kein Automatismus.
Es bedarf einer klarer Definition, wann
Untertauchen vorliegt und wann nicht und wer die Entscheidung hierüber hat.
UMF und weitere besonders Schutzbedürftige
Art. 17 der EU-Aufnahmerichtlinie sollte umgesetzt und ein entsprechendes
Verfahren zur Identifizierung besonders schutzbedürftiger Gruppen eingeführt werden. Dies ist für die Klärung von
Entscheidungen nach Art. 3 Abs. 2 und
Art. 15 der Dublin II VO unerlässlich.
§ 80 AufenthG und § 12 AsylVfG, die regeln, dass 16-17jährige Jugendlichen im Asylverfahren als Erwachsene zu behandeln sind, sollten gestrichen werden. Alle unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlinge unter 18 Jahren sollten zügig sowohl einen Vormund als auch einen
Rechtsanwalt zur Seite gestellt bekommen. Dublinverfahren sollten nicht eingeleitet werden, bevor diese
Personen bestellt sind und ihnen sollte jeder wesentliche Verfahrensschritt
(Übernahmeersuchen, Zuständigkeitsübergang, Planung der Abschiebung) unaufgefordert mitgeteilt werden.
Sowohl das Bundesamt als auch die
Ausländerbehörden sollten auf ihre
Verpflichtung aus der UN-Kinderrechtskonvention hingewiesen werden, das
Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen.
Gegen seinen Willen sollte kein Jugendlicher abgeschoben werden. Abschiebungen aus Jugendhilfeeinrichtungen oder Krankenhäusern sollten nicht stattfinden. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, dass
§ 58 Abs. 1a AufenthG auch auf DublinAbschiebungen von UMF anzuwenden ist, dass diese also erst vollzogen werden dürfen, wenn sichergestellt ist, dass der Jugendliche im Zielstaat einem

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Familienmitglied, einem Vormund oder ein er geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.
Asylanträge von UMF sollten als unwirksam betrachtet werden, wenn in anderen Dublinstaaten kein Vormund oder Ergänzungspfleger bestellt war, in diesem Fall sollte Deutschland die
Zuständigkeit übernehmen.
Ausübung des Selbsteintrittsrechts
Die Bundesregierung und das Bundesamt lassen regelmäßig verlauten, von
Art. 3 Abs. 2 werde in gut begründeten
Einzelfällen Gebrauch gemacht. Aber nicht einmal in Bezug auf Länder wie
Ungarn oder Italien ist eine relevante
Zahl von Selbsteintritten bekannt. Es bedarf daher einer klaren, transparenten Formulierung, wann die Biografie und die Verletzlichkeits-Merkmale eines
Betroffenen so gravierend sind, dass die
Voraussetzungen für einen Selbsteintritt tatsächlich von den deutschen Behörden als gegeben angesehen werden.
Es bedarf einer verfahrenstechnischen
Absicherung, die gewährleistet, dass bei jedem Dublin-Betroffenen von Amts wegen die individuellen Gründe ermittelt werden, die für einen Selbsteintritt sprechen könnten.
Die deutschen Behörden sollten ihrer
Aufklärungs- und Beobachungspflicht bezüglich der Aufnahme- und Asylverfahrensbedingungen in den anderen
Dublinstaaten nachkommen.
Bzgl. der Länder, denen durch mehrere fundierte Berichte von NGO’s sowie durch die Schilderungen der Betroffenen zahlreiche und dauerhafte Rechtsverstöße nachgewiesen worden sind
(„systemische Mängel“), sollte eine großzügigere Selbsteintrittspraxis etabliert werden. Ein Anfang wäre z.B., besonders schutzbedürftige Personen nicht mehr nach Ungarn und Italien ab-

zuschieben, wie es derzeit ja schon bzgl.
Maltas geschieht. Gleichzeitig ist Druck auf die Dublinstaaten auszuüben - z.B. über die Europäische Kommission oder durch direkte Konsultationen - ihre humanitären Verpflichtungen wieder einzuhalten. Dieser Druck darf aber keinesfalls dadurch aufgebaut werden, dass Betroffene ohne Wenn und Aber in die jeweiligen Staaten abgeschoben werden. Die Betroffenen dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, einen
Mitgliedsstaat an seine Verpflichtungen aus dem Asyl-Acquis zu erinnern.
Ist Deutschland im Rahmen des Dublinverfahrens für die Durchführung eines
Asylverfahrens zuständig geworden, sollte in jedem Fall eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages stattfinden und der Betroffene nicht auf einen (ggf. nur vermuteten) Schutzstatus in einem anderen Dublinstaat verwiesen werden.
Die Praxis des Selbsteintritts gegen den
Willen des Betroffenen, die die schnelle inhaltliche Ablehnung des Asylantrages und zügige Abschiebung ins Herkunftsland ermöglichen soll, muss beendet werden. Relocation
Die begrüßenswerte Strategie, jedes
Jahr eine bestimmte Zahl von Schutzberechtigten aus Malta aufzunehmen, sollte auf andere Länder ausgedehnt werden. Insbesondere bei Griechenland ergibt sich die eigenartige Situation, dass dort immer mehr Asylsuchende festsitzen, während gleichzeitig klar ist, dass sie - einmal in Deutschland angelangt - dorthin keinesfalls mehr abgeschoben werden. Es sollte über Strategien nachgedacht werden, wie die Betroffenen in einem geordneten Verfahren nach Deutschland kommen können, anstatt sich auf eine lebensgefährliche
Weiterflucht innerhalb Europas begeben zu müssen.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Anhang
A. Literaturverzeichnis
BAMF

Entscheiderbrief 2/2012, abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Entscheiderbrief/2012/entschei derbrief-02-2012.pdf?__blob=publicationFile
Entscheiderbrief 7/2011, abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/
Publikationen/Entscheiderbrief/2011/entscheiderbrief-07-2011.pdf?__blob=publicationFile

Bender, Dominik und Bethke, Maria

Sag mir, wie alt du bist! In: HinterlandMagazin Nr. 14, abrufbar unter http://hinterlandmagazin.de/pdf/14-50.pdf
Das Kindeswohl im Dublinverfahren. In: Asylmagazin 3-42011. Teil 1 abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2011/AM 2011-3-68-Bender__Bethke.pdf, Teil 2 abrufbar unter www.asyl.net/fileadmin/user_ upload/beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2011/AM2011-4-112_Bender-Bethke.pdf B-UMF und UNHCR

Evaluierung der Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Stadt und Landkreis Rosenheim, abrufbar unter www.b-umf.de/images/evaluation_rosenheim_2011.pdf

Deutscher Bundestag

Bundestags-Drucksache 17/10454 vom 10. August 2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf Bundestags-Drucksache 17/9479 vom 30. April 2012, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/094/1709479.pdf Bundestags-Drucksachen 17/8836 vom 2. März 2012, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/088/1708836.pdf Bundestags-Drucksache 17/5579 vom 18. April 2011, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/055/1705579.pdf Bundestags-Drucksache 17/4827 vom 21. Februar 2011, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/048/1704827.pdf Bundestags-Drucksache 17/2655 vom 26. Juli 2010, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/026/1702655.pdf Bundestags-Drucksache 17/2554 vom 9. Juli 2010, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/026/1702655.pdf Bundestags-Drucksache 17/1340 vom 9. April 2010, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/013/1701340.pdf Bundestags-Drucksache 16/11543 vom 5. Januar 2009, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/115/1611543.pdf Bundestags-Drucksache 16/7216 vom 16. November 2007, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/072/1607216.pdf European Commission

Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European
Economic and Social Committee and the Committee of the Regions on enhanced intra-EU solidarity in the field of asylum, An EU agenda for better responsibility-sharing and more mutual trust, COM 2011 (835), abrufbar unter http://ec.europa.eu/homeaffairs/news/intro/docs/201112/1_EN_ACT_part1_v6.pdf

Fahlbusch, Peter

Haft in Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung, Asylmagazin 9-2010, S.289-295, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/
Beitraege_AM_2010/AM-2010-09-289-fahlbusch.pdf

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

B. Statistische Daten

Abbildung 1:Dublin-Abschiebungen aus Deutschland / nach Deutschland 2003-2011

Abschiebungen aus Deutschland

Abschiebungen nach Deutschland

2002
Abschiebungen
nach Deutschland
Abschiebungen
aus Deutschland

Quelle: Pro Asyl

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2.058

1.562

3.328

2.583

1.940

1.913

2.536

3.027

2.847

2.902

3.312

2.913

4.150

3.127

2.795

2.255

1.782

1.517

1.306

1.303

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 1: Überprüfung der Zuständigkeit eines anderen MS - Jahr 2011

Überprüfung der Zuständigkeit nach einer Asylantragstellung in Deutschland
Überprüfung der Zuständigkeit ohne Asylantragstellung in Deutschland (sog. Aufgriffsfälle):

10690
4223

Quelle: BAMF Referat 222

Tabelle 2: Übernahmeersuchen und Abschiebungen von Deutschland an andere MS
1. Halbjahr 2012

an…
Italien
Polen
Schweden
Frankreich
Belgien
Schweiz
Österreich
Norwegen
Niederlande
Spanien
Malta
Griechenland
Ungarn
Zypern
Bulgarien

Übernahmeersuchen an den MS
1159
542
478
417
371
350
273
190
177
159
45
0
k.A.
k.A.
k.A.

tatsächlich in diesen MS abgeschobene Personen
391
148
160
164
120
108
76
k.A.
71
57
8
0
25
0
4

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage, Bundestags-Drucksache Nr.
17/10454 vom 10.8.2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 3: Übernahmeersuchen, Zustimmungen, Abschiebungen von Deutschland an andere MS –
Jahr 2011 an… Übernahmeersuchen an den
MS

Zustimmungen tatsächlich des MS aus Deutschland abgeschobene
Personen
insgesamt
237
165
311
162
33
7
293
174
16
4
51
25

abgeschobene SelbstPersonen eintritte unter 18 Jahren *)

Österreich
483
18
**)
Belgien
440
42
**)
Bulgarien
44
0
**)
Schweiz
534
13
**)
Zypern
24
1
**)
Tschech. Re90
1
**) publik Dänemark
132
85
61
8
**)
Estland
4
5
1
0
**)
Spanien
268
176
76
2
**)
Finnland
64
27
20
2
**)
Frankreich
750
543
278
37
**)
Griechenland
99
300
0
0
4630***)
Ungarn
374
220
98
21
**)
Irland
10
8
6
0
**)
Italien
2279
1811
635
43
**)
Litauen
83
69
34
0
**)
Luxemburg
24
9
5
0
**)
Lettland
25
22
18
9
**)
Malta
146
126
35
1
42
Niederlande
336
217
144
11
**)
Norwegen
447
333
224
15
**)
Polen
1012
960
357
91
**)
Portugal
20
17
2
0
**)
Rumänien
122
82
47
2
**)
Schweden
1083
481
270
58
**)
Slowenien
25
26
13
2
**)
Slowak. Rep.
61
28
19
1
**)
Verein. Königr.
96
40
22
2
**)
Gesamt
9075
6526
2902
380
**)
Quelle: BAMF Referat 222 und Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage,
Bundestags-Drucksache Nr. 17/8834 vom 2.3.2012, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/088/1708834.pdf *) die Gruppe der Minderjährigen umfasst sowohl Kinder, die mit ihren Eltern abgeschoben wurden sowie unbegleitete Minderjährige. Die Zahl der abgeschobenen UMF wird vom BAMF nicht statistisch erfasst. **) statistisch nicht erfasst
***) bei Griechenland muss, anders als bei allen anderen MS, seit Januar 2011 dem Selbsteintritt kein
Übernahmeersuchen mehr vorausgehen, es handelt sich also um Selbsteintritte bei einer vermuteten
Zuständigkeit Griechenlands

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 4: Übernahmeersuchen, Zustimmungen, Abschiebungen von anderen MS an Deutschland –
Jahr 2011

von…

Übernahmeersuchen vom MS

Zustimmungen durch das BAMF

160
450
19
420
18

Ablehnungen durch das
BAMF
47
138
12
94
9

107
313
6
322
9

tatsächlich nach
Deutschland abgeschobene Personen
77
199
5
174
8

Österreich
Belgien
Bulgarien
Schweiz
Tschech. Republik
Dänemark
Estland
Spanien
Finnland
Frankreich
Griechenland
Ungarn
Irland
Island
Italien
Litauen
Luxemburg
Niederlande
Norwegen
Polen
Portugal
Rumänien
Schweden
Slowenien
Slowak. Rep.
Verein. Königr.
Gesamt

82
2
3
56
476
107
13
9
2
58
1
37
232
177
33
8
9
403
8
10
202

22
0
0
17
165
32
8
2
0
31
0
1
19
26
8
2
8
100
5
8
29

61
2
3
38
307
69
4
8
2
26
1
28
209
161
24
6
3
285
3
2
170

47
1
1
32
109
52
4
6
1
7
0
21
139
132
20
3
2
138
2
0
123

2995

783

2169

1303

Quelle: BAMF Referat 222

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 5: Übernahmeersuchen Deutschlands an andere MS mit Aufschlüsselung der
EURODAC-Treffer – Jahr 2011

an…
Österreich
Belgien
Bulgarien
Schweiz
Zypern
Tschech. Republik
Dänemark
Estland
Spanien
Finnland
Frankreich
Griechenland
Ungarn
Irland
Italien
Litauen
Luxemburg
Lettland
Malta
Niederlande
Norwegen
Polen
Portugal
Rumänien
Schweden
Slowenien
Slowak. Rep.
Verein. Königr.
Gesamt

insgesamt davon auf Grund von EurodacTreffern
483
413
440
317
44
34
534
474
24
17
90
47

prozentualer Anteil der EurodacTreffer
85,5%
72.0%
77,3
88,8
70,8
52,2

132
4
268
64
750
99
374
10
2279
83
24
25
146
336
447
1012
20
122
1083
25
61
96
9075

81,1
25,0
49,6
76,6
64,3
43,4
66,0
80,0
76,9
74,4
87,5
56,0
86,3
80,4
89,0
53,7
55,0
84,4
68,6
96,0
88,5
84,4
72,5

Quelle: BAMF Referat 222

107
1
133
49
482
43
247
8
1752
62
21
14
126
270
402
543
11
103
743
24
54
81
6578

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 6: Abschiebungen von Deutschland an andere MS – Staatsangehörigkeit der
Asylsuchenden – Jahr 2011 und 1. Halbjahr 2012

Jahr 2011

Staatsangehörigkeit der Asylsuchenden
Afghanistan
Russland
Irak
Somalia
Georgien
Tunesien
Kosovo
Iran
Serbien
Algerien
Syrien

Jahr 2011

1. Halbjahr 2012

Abschiebungen von
Staatsangehörigen
dieses Landes in andere MS gesamt
346
275
222
205
213
124
121
118
117
103
k.A.

davon vor allem in welchen MS

Abschiebungen von Staatsangehörigen dieses Landes in andere MS gesamt

115 nach Italien
199 nach Polen
53 nach Schweden
96 nach Italien
108 nach Polen
84 nach Italien
33 nach Belgien
28 nach Italien
59 nach Schweden
17 nach Italien
k.A.

186
130
95
k.A.
88
87
69
k.A.
111
60
59

Quelle: Bundestags-Drucksache Nr. 17/10454 vom 10.8.2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf. Tabelle 7: Abschiebungen an Deutschland aus anderen MS – Staatsangehörigkeit der Asylsuchenden – Jahr 2011

Staatsangehörigkeit der
Asylsuchenden
Afghanistan
Irak
Kosovo
Vietnam
Algerien

Abschiebungen von Staatsangehörigen dieses Landes nach Deutschland gesamt
120
125
103
82
58

davon vor allem aus welchem MS
40 aus Griechenland
23 aus Schweden
58 aus Belgien
46 aus Großbritannien
12 aus der Schweiz

Quelle: Bundestags-Drucksache Nr. 17/10454 vom 10.8.2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 8a: Anzahl der Zustimmungen Deutschlands zu Übernahmeersuchen anderer MS auf der Basis von Art. 15 – 2009-2012

Anzahl der Zustimmungen Deutschlands auf der Basis von Art. 15
2009
6
2010
9
2011
25
Tabelle 8b: Anzahl der Zustimmungen anderer MS zu Übernahmeersuchen Deutschlands auf der Basis von Art. 15 – 2009-2012

Anzahl der Zustimmungen anderer MS auf der Basis von Art. 15
2009
28
2010
6
2011
12
1. Halbjahr 2012
3
Quelle für 2009-2011: BAMF Referat 222
Quelle für 2012: Bundestags-Drucksache Nr. 17/10454 vom 10.8.2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf. Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 9: Abschiebungen von minderjährigen Personen - Jahr 2011 und 1. Halbjahr 2012

nach…

Jahr 2011
1. Halbjahr 2012 abgeschobene Minderjährige abgeschobene Minderjährige
Österreich
18
10
Belgien
42
35
Bulgarien
0
*)
Schweiz
13
13
Zypern
1
*)
Tschech. Republik 1
*)
Dänemark
8
*)
Estland
0
*)
Spanien
2
6
Finnland
2
*)
Frankreich
37
49
Griechenland
0
*)
Ungarn
21
*)
Irland
0
*)
Italien
43
13
Litauen
0
*)
Luxemburg
0
6
Lettland
9
*)
Malta
1
*)
Niederlande
11
9
Norwegen
15
*)
Polen
91
34
Portugal
0
*)
Rumänien
2
*)
Schweden
58
40
Slowenien
2
*)
Slowak. Rep.
1
*)
Verein. Königr.
2
6
Gesamt
380
*)

Quelle für 2011: BAMF Referat 222
Quelle für 2012: Bundestags-Drucksache Nr. 17/10454 vom 10.8.2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf. *)Die Statistik für 2012 ist noch unvollständig, da sie einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage entnommen ist, in der nur nach den Haupt-Zielstaaten gefragt wurde. Eine vollständige Statistik für das Jahr 2012 wird erst Anfang des Jahre 2013 vorliegen.
Da das BAMF keine eigene Statistik zu unbegleiteten Minderjährigen führt, umfasst diese Gruppe sowohl die Kinder, die mit ihren Eltern abgeschoben wurden, als auch unbegleitete Minderjährige.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

Tabelle 10: Abschiebungen von minderjährigen Personen nach den wichtigsten Herkunftsländern –
Jahr 2011 und 1. Halbjahr 2012

Herkunftsland

Serbien
Russische Föderation
Afghanistan
Kosovo
Mazedonien
Bosnien und Herzegowina
Georgien
Syrien
Algerien
Montenegro
Somalia
Irak
Iran
Ungeklärt
Sonstige
Gesamt

Anzahl der abgeschobenen
Minderjährigen aus diesem
Herkunftsland

Anzahl der abgeschobenen
Minderjährigen aus diesem
Herkunftsland

Jahr 2011
51
84
65
35
18
unter „Sonstige“
19
unter „Sonstige“ unter „Sonstige“ unter „Sonstige“
9
17
10
7
65
380

1. Halbjahr 2012
48
42
29
28
22
10
9
6
5
5
*)
*)
*)
*)
*)
*)

Quelle für 2011: BAMF Referat 222
Quelle für 2012: Bundestags-Drucksache Nr. 17/10454 vom 10.8.2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710454.pdf. *)Die Statistik für 2012 ist unvollständig, da sie einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage entnommen ist, in der nur nach den Haupt-Herkunftsstaaten gefragt wurde.
Da das BAMF keine eigene Statistik zu unbegleiteten Minderjährigen führt, umfasst diese Gruppe sowohl die Kinder, die mit ihren Eltern abgeschoben wurden, als auch unbegleitete Minderjährige.

Zehn Jahre Dublin – Kein Grund zum Feiern

C. Zitierte Rechtsprechung zur Dublin-II-Verordnung in Deutschland
VG München, Beschluss vom 22. November 2012, Az. M 23 E 12.30743
VGH Hessen, Beschluss vom 14. November 2012, Az. 3 D 1815/12, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/20198.pdf VG Kassel, Beschluss vom 10. Oktober 2012, Az. 1 L 1210/12.KS.A
LG Traunstein, Beschluss vom 21. August 2012, Az. 4 T 3104/12
VG Frankfurt, Beschluss vom 11. Juni 2012, Az. 1 L 1994/12.F.A., abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/19767.pdf VG Stuttgart, Beschluss vom 2. April 2012, Az.A 11 K 1039/12, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/19615.pdf VG Regensburg, Urteil vom 7. März 2012, Az. RO 7 K 11.30393, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/19448.pdf VG Karlsruhe, Urteil vom 6. März 2012, Az. A 3 K 3069/11, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/19572.pdf OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2012, Az. 1 B 234/12.A
VG Braunschweig, Beschluss vom 9. August 2011, Az. 2 B 196/11, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/18899.pdf VG Magdeburg, Urteil vom 26. Juli 2011, Az. 9 A 346/10 MD, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/19125.pdf VG Stade, Beschluss vom 6. Juni 2011, Az. 6 B 688/11, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/18841.pdf VG Hamburg, Beschluss vom 11. April 2011, Az. 19 AE 173/11, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/18463.pdf VG Gießen, Beschluss vom 16. März 2011, Az. 1 L 198/11.GI.A, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/18358.pdf VG Frankfurt, Beschluss vom 15. Oktober 2010, Az. 9 L 3171/10.F.A, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/17722.pdf VG Frankfurt, Beschluss vom 2. August 2010, Az. 8 L 1827/10.F.A(V), abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/17354.pdf VG Frankfurt, Urteil vom 8. Juli 2009, Az. 7 K 4376/07.F.A, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/15906.pdf VG Gießen, Beschluss vom 25. April 2008, Az. 2 L 201/08.GI.A, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/13157.pdf BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, Az. 2 BvR 1938/93, abrufbar unter http://www.unhcr.org/cgibin/texis/vtx/refworld/rwmain?page=type&docid=3ae6b73514&skip=0&type=CASELAW&coi=DEU&s earchin=title&display=200&sort=date Dieser Bericht zur Umsetzung der Dublin-II-Verordnung wurde vom Hessischen
Flüchtlingsrat im Rahmen des EFF-geförderten Transnational Dublin Project erstellt.
Auf der Seite

www.dublin-project.eu sind die Ergebnisse des Projektes (Laufzeit Juli 2011 – Februar 2013) abrufbar, unter anderem alle “National Reports” aus elf Partnerländern die vergleichende Untersuchung “Lives on Hold” zur Umsetzung der Dublin-IIVerordnung in Europa eine Rechtssprechungsdatenbank mit Gerichtsentscheidungen zur Dublin-IIVerordnung aus allen Partnerländern
Broschüren für Asylsuchende mit Informationen zum Dublinverfahren in den jeweiligen Partnerländern (Sprachen: Englisch, Französisch, Arabisch, Persisch,
Russisch, Somali)
Schulungsmaterial zur Dublin-II-Verordnung für AnwältInnen und BeraterInnen in den jeweiligen Landessprachen

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